Jüdische Gemeinde (1945-1989)

Empfang bei Bürgermeister Max Brauer

Die Anfänge der neu gegründeten G. nach dem Zweiten Weltkrieg lassen sich urkundlich auf den 8. Juli 1945 bestimmen. An diesem Tag fand eine Besprechung von zwölf Überlebenden statt, die einen vorläufigen Arbeitsausschuss und eine Kultuskommission einsetzten. Etwa 80 Juden hatten zu dieser Zeit ihr Interesse bekundet, die zerstörte G. wiederzubegründen.

Den Überlebenden sollte ein erster organisatorischer Halt, die Möglichkeit der religionsgesetzlichen Lebensführung und materielle Unterstützung gegeben werden. Hilfe versprachen das American Jewish Distribution Committee und das britische Jewish Commitee for Relief Abroad. Am 18. September 1945 konstituierte sich eine Versammlung von 72 Personen als neue »Jüdische Gemeinde in Hamburg«. Ein Vorstand und ein Beirat wurden gewählt. Die Satzung, die im Oktober 1945 angenommen wurde, bestimmte die G. anders als die frühere Organisationsform – das so genannte Hamburger System mit drei verschiedenen Kultusverbänden ( DIG) – nunmehr als Einheitsgemeinde, die einem gemäßigt orthodoxen Kultus folgen sollte. Diese Entscheidung für eine institutionelle Religiosität war keineswegs selbstverständlich, denn der überwiegende Teil der neuen Gemeindeangehörigen hatte im NS-Staat nur in so genannter »Mischehe« überleben können. Die Mitgliedschaft in der G. bestimmte sich seit der revidierten Satzung von 1946 unverändert nach Maßgabe des jüdischen Religionsgesetzes. Die G. war von Anfang an Mitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland, der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland und des Jüdischen -Gemeindefonds Nordwestdeutschland.

Noch im Oktober 1945 beantragte die G. beim Senat der Hansestadt Hamburg die Anerkennung als »Körperschaft des öffentlichen Rechts«. Damit sollte bewusst an die Rechtstradition der Weimarer Zeit angeknüpft werden. Zugleich galt es, die rechtliche Identität mit der 1943 zerstörten Gemeinde zu betonen und die Durchsetzung von Ansprüchen auf Rückerstattung und »Wiedergutmachung« zu erleichtern. Mit einer derartigen Zielsetzung konnte man zunächst der Frage ausweichen, ob eine Wiederbelebung jüdischen Lebens im »Land der Täter« politisch und moralisch noch denkbar sei. »Gehen oder Bleiben« war die beherrschende Frage. Die G. selbst ließ sie unbeantwortet, überließ die Entscheidung vielmehr jedem Einzelnen. Tatsächlich entwickelte sich die G., von nicht wenigen anfangs nur als so genannte »Liquidationsgemeinde« verstanden, zu einem auf Dauer angelegten Zusammenschluss. Im April 1946 fand auf Anordnung der Britischen Militärregierung und satzungsgemäß die erste Wahl zum Beirat statt, der seinerseits einen Monat später den bisherigen Vorstand in seinem Amt bestätigte. Von ihrem Recht auf freie Wahl hatten 833 Gemeindeangehörige mit einer Wahlbeteiligung von 65 Prozent in einem offenen Wahlkampf Gebrauch gemacht. Traditionsgemäß wurde die Arbeit des Vorstandes durch gewählte Kommissionen und Ausschüsse unterstützt.

Als im Oktober 1948 endlich der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen wurde, war dies auch Ausdruck der beabsichtigten Beständigkeit der G., die alle klassischen Aufgaben übernahm (Kultus, Beerdigungswesen, Fürsorge und jüdische Bildung). Die G. besaß ihre eigene Selbstverwaltung einschließlich Finanz- und Vermögensverwaltung nebst eigener Steuererhebungsbefugnis. Für das Bestattungswesen war frühzeitig eine Chewra Kadischa ( Beerdigungswesen) gegründet worden. Die G. war Trägerin der sechs geschlossenen jüdischen Friedhöfe und des offenen jüdischen Friedhofs an der Ilandkoppel (Ohlsdorf). Der Etat des Sozialwesens wurde zu einem großen Teil aus Mitteln der Zentralwohlfahrtspflege der Juden in Deutschland bestritten. Frühzeitig konzentrierte sich die G. auf die Kinder- und Jugendarbeit, um jüdische Identität zu begründen und zu festigen. Sie richtete in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts einen Kindergarten (geschlossen 1979) ein, sorgte für den jüdischen Religionsunterricht, förderte die Jugend- und Kinderferienverschickung und gründete in den siebziger Jahren den Turn- und Sportverein Makkabi Hamburg.

Nach einer statistischen Erhebung des Vorstandes vom März 1947 hatte die Gemeinde 1.268 Angehörige, von denen 831 verheiratet waren, davon wiederum 671 in so genannter Mischehe mit nichtjüdischen Partnern. Das deutete einerseits einen erheblichen Grad der Assimilation an, erklärte andererseits auch das Verbleiben in Hamburg durch die enge Verbundenheit mit dem nichtjüdischen Ehepartner. 1952 war die Zahl der Gemeindeangehörigen auf 1.044 gesunken. Überalterung, dadurch bedingt eine geringe Geburtenrate, und eine stetige Auswanderung, vor allem nach Israel sowie in die USA, waren die Gründe. Die Lage verbesserte sich erst Mitte der fünfziger Jahre, als ehemalige Emigranten ( Emigration) zurückkamen und sich Zuwanderer aus Osteuropa niederließen. Als eine Besonderheit in Deutschland kamen auch etwa 150 jüdische Familien aus dem Iran nach Hamburg. Vor allem diese persischen Juden, zumeist Kaufleute im Teppichhandel, förderten das religiöse Leben innerhalb der Gemeinde. Doch blieb die Frage der Überalterung der Gemeinde aktuell. 1960 war von den 1.369 Gemeindeangehörigen etwa die Hälfte über 56 Jahre alt. Gleichwohl stabilisierte sich die Zahl der Gemeindeangehörigen auf 1.350 bis 1.400 für die nächsten drei Jahrzehnte. Die G. bemühte sich daher, die sozialen und kulturellen Provisorien der Nachkriegszeit Schritt für Schritt zu beenden, ermöglicht durch die finanziellen Mittel aus der »Wiedergutmachung« und durch wohlwollende Aufmerksamkeit und Hilfe der Hansestadt Hamburg. Seit 1957 konnte in Hamburg wieder rituell geschlachtet werden. Im selben Jahr erhielt die G. ihre Bibliothek zurück, die während des NS-Regimes konfisziert und nach Sachsen »ausgelagert« worden war. Im Mai 1958 eröffnete die G. in der Schäferkampsallee ein rituell geführtes Altenheim (63) – das in den neunziger Jahren aufgegeben werden musste – und im selben Jahr ein Jugendheim. Ein Jahr später konnte der Grundstein für ein neues Israelitisches Krankenhaus gelegt werden. Höhepunkt dieser Aufbauphase wurde die Eröffnung der neuen Synagoge am 4. September 1960 an der Hohen Weide (55). Mit dem Bau der Synagoge hatte die G. ihr religiöses und kulturelles Zentrum gefunden. Die Kulturkommission führte regelmäßig musikalische und literarische Veranstaltungen sowie Vorträge zu jüdischen Themen durch. Seit 1968 war die G. auch für Schleswig-Holstein zuständig. 1984 und 1985 erschütterte eine Reihe schwerer Friedhofsschändungen (Friedhöfe Bornkampsweg (102), Langenfelde (103) und Ohlsdorf) die G., doch blieben die Ermittlungen der Polizei erfolglos.

War der Synagogenbau zwar ein sichtbares Zeichen jüdischer Präsens, so blieb doch die G. in diesen Jahren gegenüber dem nichtjüdischen Umfeld zurückhaltend, mit Ausnahme offizieller Anlässe. Die Gründe wird man in den leitenden Persönlichkeiten finden können, welche die G. führten. Prägend war in Hamburg die so genannte »Erste Generation« der unmittelbar durch das NS-Regime Verfolgten. Zu ihnen gehörten nicht nur der erste, zehn Jahre lang amtierende Vorsitzende der G., Harry Goldstein, nach ihm für 14 Jahre Siegfried Gottschalk, sondern vor allem Günter Singer. Durch seine unermüdliche Arbeit und Festigkeit in allen jüdischen Angelegenheiten prägte Singer das Leben in der G. über eine ganze Generation um vieles deutlicher, als es die verschiedenen in Hamburg amtierenden Rabbiner vermochten. Der 1960 für die Länder Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein eingeführte Rabbiner Hans Isaac Grünwald verließ nach einiger Zeit die G. Seit 1962 amtierte der religiös liberale Nathan Peter Levinson (geb. 1921) als zuständiger Rabbiner für fast drei Jahrzehnte. Da er zugleich Landesrabbiner für Baden war, blieb sein Einfluss auf das tägliche religiöse Leben der Hamburger eher eingeschränkt, auch wenn er bei orthodoxen wie liberalen Gemeindeangehörigen hohes Ansehen genoss.

Ina Lorenz