Wandsbek, Jüdische Gemeinde

In W. ließen sich die ersten jüdischen Familien unter den Gutsbesitzern Rantzau nieder, vielleicht schon 1583/84.

Sicher beurkundet ist jüdischer Zuzug 1621, als vier Schutzjuden aus Altona übersiedelten. Ein weiterer Schutzjude verstarb sogleich, weitere Todesfälle folgten, sodass sich die dringende Frage einer Bestattung nach jüdischem Ritus stellte. Das Gut gehörte inzwischen dem dänischen König und unterstand Berend von Hagen. 1637 erteilte der Pächter seinen Schutzjuden das Privileg der vollständigen Religionsausübung, d. h., Gottesdienste, Beschneidungen und Bestattungen waren erlaubt, Letztere auf einem zugewiesenen Grundstück für den Friedhof Königsreihe (119). Die dafür zu entrichtenden Schutzgelder basierten auf moderaten Tarifen. Auch auswärtige Juden waren in diese Rechte mit einbezogen. Nach einer Generation hatte sich die Gemeinde etabliert. Sie bestand aus Juden, die aus Hamburg ausgewiesen worden waren, frommen Exilanten aus Wilna sowie der wohlhabenden Großfamilie Delbanco aus Venedig, die 1670 aus Wien vertrieben worden war. 1671 wurde sie Teil der Dreigemeinde AHW. Innerhalb dieser Gesamtgemeinde durften Juden ihren Wohnsitz frei wählen, sodass eine Reihe von ihnen nach Hamburg zog, aber Wandsbeker Schutzjuden blieben. Im 18. Jahrhundert wohnten nur noch sechs bis sieben jüdische Familien in W. gegenüber 123 Haushalten in Hamburg. Die auf dem Gut verbliebenen Juden betätigten sich im An- und Verkauf von Waren und nicht eingelösten Pfändern, auch als Schächter und Fleischverkäufer. 1811 mussten sich die drei Gemeinden auf Geheiß des französischen Präfekten Hamburgs trennen. Die Gemeinde verlor damit einen Großteil ihrer zahlungskräftigsten Mitglieder und war fortan auf sich selbst gestellt. Bis 1840 konsolidierte sie sich so weit, dass erstmalig eine Synagoge (mit angegliederter Gemeindeschule) im Hinterhof Langereihe (Königsreihe) (118) erbaut werden konnte. Mit David Hanover wurde 1863 erstmals ein Rabbiner gewählt, der sowohl ein Rabbinerseminar als auch eine akademische Ausbildung absolviert hatte. Auf diese Weise untermauerte die Gemeinde ihren Anspruch auf bürgerliche Gleichstellung. Diese führte auch zu Konflikten mit dem Magistrat W., zum einen über die Aufstellung sog. Judentore im Stadtgebiet und zum anderen über die als illegal angesehene Beerdigung eines auswärtigen Juden 1883. Ein städtisches Gutachten leitete 1884 die Schließung des ersten Friedhofs ein. Ein neuer Friedhof in der Jenfelder Straße (120) konnte 1886 eingeweiht werden. Im September des gleichen Jahres fand in W. die Hochzeit des späteren Begründers der Psychaoanalyse Sigmund Freud mit Martha Bernays, einer Enkelin des 1841 verstorbenen Hamburger Rabbiners Isaak Bernays, statt. 1902 übernahm Simon Bamberger das Rabbineramt in der etwa 200 Mitglieder zählenden Gemeinde. Er lenkte ihre Belange zusammen mit dem Gemeindevorsteher Benjamin Wolf (Benny) Beith bis zu ihrer Auflösung. Um 1900 und noch einmal um 1920 veränderte sich die Gemeinde durch den Zuzug neuer Mitglieder aus den deutsch-polnischen Provinzen. Mit der 1938 erzwungenen Vereinigung der Gemeinden Hamburg, Altona, Wandsbek und Harburg-Wilhelmsburg zum Jüdischen Religionsverband Hamburg hörte die durch Emigration und Abwanderung ohnehin stark dezimierte Gemeinde auf zu existieren. Im Oktober 1938 wurde die Synagoge geschlossen. Während des Novemberpogroms wurden auf die beiden Friedhöfe, die Synagoge und mehrere Geschäfte Anschläge verübt. Mindestens 100 Gemeindemitglieder wurden seit 1941 deportiert ( Deportation), nur zwei von ihnen überlebten. An die altehrwürdige Gemeinde erinnern heute nur noch die beiden Friedhöfe, je ein Gedenkstein für Rabbiner Bamberger und die Synagoge (124) und »Stolpersteine« ( Gedenkstätten und Gedenkkultur) für einzelne Deportationsopfer.

Astrid Louven