Harburg-Wilhelmsburg, Synagogengemeinde

In Harburg ist die Ansiedlung von Juden seit dem frühen 17. Jahrhundert nachweisbar. Im 19. Jahrhundert spielten Juden zunehmend eine wichtige Rolle im Wirtschaftsleben der Elbstadt. Seit der Jahrhundertmitte fielen gesetzliche Beschränkungen schrittweise fort, so dass es Juden möglich wurde, am starken Wirtschaftswachstum Harburgs teilzuhaben. Die Zahl der Gemeindemitglieder wuchs an von 175 Personen im Jahr 1864 auf 312 zur Jahrhundertwende und auf 358 im Jahr 1925.

Ein großer Teil der jüdischen Geschäftsleute betrieb erfolgreich Einzelhandelsgeschäfte, vornehmlich im Konfektionssektor, andere betätigten sich als Großhändler. Die bekannte Phoenix AG in Harburg geht auf eine Gründung der beiden jüdischen Brüder Louis Salomon Cohen und Abraham Albrecht Cohen im Jahre 1856 zurück. 1862/63 ließ die jüdische Gemeinde Harburg (auch Synagogengemeinde Harburg genannt) eine neue Synagoge (127) bauen, gestaltet im Rundbogenstil und mit romanisierenden Formen. Da im Betsaal von Anfang an eine Kanzel stand und kein Gitter den Blick von und zu den Frauenemporen einschränkte, ist zu vermuten, dass die Gemeinde eher liberal eingestellt war. Gemessen an der geringen Zahl von weniger als 30 Gemeindemitgliedern, die Anfang der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts Gemeindesteuern zahlen mussten, ist die Synagoge als aufwändig zu bezeichnen. Diese dokumentierte den Wohlstand und die Finanzkraft der Gemeinde. Mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Harburger Juden stellte sich gesellschaftliche Anerkennung ein. Zwei Kaufleute gehörten dem Harburger Kollegium der Bürgervorsteher an, drei andere bekleideten Ehrenämter in der Harburger Handelskammer. Der jüdische Arzt Emil Hirschfeld wurde 1919 zum Harburger Senator gewählt.

Der Friedhof der Gemeinde (128) liegt am Rand des Harburger Schwarzenbergs (heute Schwarzenbergpark) und wurde vermutlich schon 1614 angelegt. 1813 zerstörten napoleonische Truppen den Friedhof durch den Bau einer Schanze. Mit den heute vorhandenen 239 Steinen, die sämtlich nach der napoleonischen Zeit gesetzt wurden, ist der Grabmalbestand weitgehend erhalten. 1857 ließ die jüdische Gemeinde eine Leichenhalle auf ihrem Friedhof errichten, die ähnlich der Synagoge auf romanisierende Stilelemente zurückgriff. Seit 1933 verschlechterte sich die Situation auch der Harburger Juden, die schon vorher nicht von antisemitischen Anfeindungen verschont geblieben waren. Nicht zuletzt durch die Auswanderung wohlhabender Mitglieder geriet die Gemeinde zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten. 1937 wurde die Jüdische Gemeinde Harburg-Wilhelmsburg, wie sie sich nach der Zusammenfassung Harburgs mit dem benachbarten Wilhelmsburg zur Großstadt Harburg-Wilhelmsburg (1927) nannte, zwangsweise mit den Jüdischen Gemeinden Hamburg und Wandsbek zum Jüdischen Religionsverband Hamburg vereint. Am Abend des 10. November 1938 wurde die Synagoge geplündert und in Brand gesteckt ( Novemberpogrom). Der nur wenig zerstörte Bau wurde wohl erst 1941 abgerissen. Das Synagogengrundstück übereignete man nach dem Krieg der Jewish Trust Corporation for Germany (jüdische Treuhand zur Rückerstattung des während der nationalsozialistischen Diktatur enteigneten jüdischen Vermögens). Diese verkaufte das Grundstück an eine Baugesellschaft, die dort 1954/1955 Wohnungen errichtete. Auch die Leichenhalle auf dem Friedhof war im November 1938 in Brand gesteckt und wohl im Februar 1939 abgebrochen worden. Die letzte Bestattung auf dem Friedhof fand 1937 statt, 1939 wurde die Schließung angeordnet. Anfang 1943 verkaufte der Jüdische Religionsverband Hamburg den Friedhof zwangsweise an den Staat. In einem außergerichtlichen Vergleich sprach man den Friedhof 1952 der Jewish Trust Corporation for Germany zu. Heute gibt es keine jüdische Gemeinde mehr in Harburg. Der Friedhof ist das einzige noch vorhandene Zeichen jüdischen Lebens in der Elbstadt. Zum Gedenken an die Schändung der Synagoge wurde 1988 an ihrem ehemaligen Standort an der Ecke Eißendorfer Straße/Knoopstraße ein Mahnmal errichtet, zum Gedenken an die Schändung der Friedhofskapelle steht seit 1992 ein Gedenkstein auf dem Friedhof.

Eberhard Kändler