Cassirer, Ernst

Philosoph und Universitätslehrer, geb. 28.7.1874 Breslau, gest. 13.4.1945 New York

Der Philosoph C. gehörte bei der Gründung der Hamburgischen Universität im Jahre 1919 zur ersten Generation neu berufener Wissenschaftler, und er hat bis zu seinem geistesgegenwärtigen Abschied im März 1933 den wirkungsmächtigsten Teil seines Lebenswerkes in Hamburg erarbeitet. C., eines von sieben Kindern des Kaufmanns Eduard C. und seiner Frau Jenny (geb. Siegfried Cassirer), studierte nach dem Abitur im Frühjahr 1892 zunächst Jura in Berlin, dann Philosophie und Germanistik in Leipzig, Heidelberg und Berlin und ging schließlich auf Anraten von Georg Simmel nach Marburg. Dort wurde er von den beiden Neukantianern Hermann Cohen und Paul Natorp zu einer guten Kennerschaft der neuzeitlichen Erkenntnistheorie und des Kantischen Werkes herangebildet. Nach der Promotion 1899 mit einer Arbeit über Descartes kehrte er nach Berlin zurück. 1902 heiratete er seine Cousine Toni Bondy. Ernst und Toni C.. hatten drei Kinder: Heinz, Georg und Anne. 1906 habilitierte sich C. in Berlin mit dem ersten Teil seines großen Werkes über Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, dem schon 1907 der zweite, ebenso große Teil folgte. Nach 13 produktiven Berliner Jahren wurde der noch junge Privatdozent gleich nach ihrer offiziellen Gründung an die Hamburgische Universität berufen und leitete als ordentlicher Professor das Seminar für Philosophie. C. war nicht nur einer der größten Gelehrten, die Hamburg in seiner gesamten kurzen Universitätsgeschichte für sich zu gewinnen wusste, er gehörte auch zu den letzten Universalgelehrten des 20. Jahrhunderts. Aufgrund seiner gediegenen Kenntnisse in den Geisteswissenschaften wie in den Naturwissenschaften hat er auch ein Beispiel interdisziplinären Arbeitens gegeben. Für seine Hamburger Zeit ist dies durch eine Reihe fruchtbarer Kontakte zu den anderen Wissenschaften belegt: Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg (KBW) hatte C. bereits 1921 für seine Fragestellungen zu nutzen gelernt; eine Reihe von wichtigen Abhandlungen im Kontext seiner eigenen Philosophie ist aus Vorträgen in der KBW hervorgegangen. Die produktive Freundschaft mit Aby Warburg begann 1924. Für seine Philosophie der Sprache erwies sich sein Austausch mit William und Clara Stern, für die grundlegende Dimension seiner Kulturphilosophie die gute Verbindung zum Institut für Umweltforschung und dessen Leiter Jakob von Uexküll als fruchtbar. C. entwickelte in diesem Kontext seine Philosophie der symbolischen Formen. Als C. 1928 einen Ruf an die Universität Frankfurt erhielt, schrieb Aby Warburg den legendären Artikel im Hamburger Fremdenblatt Warum Hamburg den Philosophen C. nicht verlieren darf. C. blieb und nahm die Einladung an, am 11. August 1928 bei der Verfassungsfeier des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg die Festrede zu halten. In seiner Rede über Die Idee der republikanischen Verfassung verteidigte er den klassischen politischen Liberalismus gegen völkische und antidemokratische Ressentiments. C. wurde im Juli 1929 zum Rektor der Universität gewählt. Von 1923 bis zu seiner Emigration im März 1933 amtierte C. zudem als zweiter Vorsitzender der 1919 gegründeten Religionswissenschaftlichen Gesellschaft in Hamburg, deren Ziele – zum Ausgleich für das Fehlen einer Theologischen Fakultät an der Hamburgischen Universität – die »Pflege religionswissenschaftlicher Studien« und die »Verbreitung religionswissenschaftlicher Kenntnisse« waren. Nach dem Januar 1933 gab es für Ernst und Toni C., die den Antisemitismus im universitären und städtischen Alltag der zwanziger Jahre erfahren hatten, kein Zögern in der Frage, was zu tun sei. Sie verließen Hamburg im März 1933 und waren so schon etwa einen Monat außer Landes, als am 7. April das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« in Kraft trat. Bereits zwei Tage zuvor hatte C. den Rektor um die Aufhebung aller Verpflichtungen ersucht. Im Juli 1933 wurde C. mit Wirkung zum 1. November in den Ruhestand versetzt. Seine Kollegen an der Universität haben ihn ohne Aufbegehren und Protest gehen lassen. Die Stationen seiner Emigration führten ihn über die Schweiz und England nach Schweden, wo ihm in Göteborg eine Professur angeboten wurde. 1939 wurde ihm die schwedische Staatsbürgerschaft verliehen; auf die deutsche verzichtete er. Nach seiner Emeritierung nahm er Gastprofessuren in den USA wahr – zuletzt in New York, wo er 1945 einem Herzleiden erlag.

Birgit Recki