Glückel von Hameln
(auch: Glikl bas Juda Leib), Kauffrau, geb. 1645/6 Hamburg, gest. 1724 Metz (Frankreich)
Mit ihren sieben Memoirenbänden in jüdisch-deutscher Sprache gehört G. als Autobiographin zu den bedeutendsten jüdischen Autoren der Neuzeit, vergleichbar mit Leon da Modena (1571-1648). Sie wurde in der Endphase des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) als Tochter des Juwelenhändlers und Pfandleihers Juda Joseph, genannt Loeb Pinkerle, und seiner Frau Bele Melrich, einer ebenfalls erfolgreichen Geschäftsfrau, geboren. G.s vermögender und angesehener Vater gehörte zu den ersten aschkenasischen Schutzjuden Hamburgs, was ihn und seine Familie im Jahre 1648 jedoch nicht vor der Vertreibung aus der Stadt schützte. Im nahen Altona fand er mit den anderen Hamburger Juden immer wieder eine vorübergehende Bleibe. G. wurde dem Brauch gemäß im Alter von 14 Jahren mit dem kaum älteren Chajim, Sohn des Händlers Joseph ben Baruch Daniel Samuel ha-Levi (oder Segal bzw. auch Hamel) aus der Stadt Hameln, verheiratet. Das Paar ließ sich in Hamburg nieder, handelte u. a. mit Gold und Perlen und führte bis zu Chajims frühem Tod im Jahre 1689 eine glückliche Ehe, in der G. 14 Kinder gebar, von denen 12 das Erwachsenenalter erreichten. Als tüchtige Witwe führte G. die Geschäfte allein weiter und sorgte für die Ausbildung ihrer Kinder im In- und Ausland sowie gute Heiratspartien. In der schwierigen Lebenssituation und »aus vielen Sorgen und Nöten und Herzeleid« begann sie 1691 die Erinnerungen für ihre Kinder niederzuschreiben. Da jüdischen Frauen bis zur Aufklärung der öffentliche intellektuelle Raum verschlossen war, sind G.s Erinnerungen, die 1719 enden, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen. Sie enthielten detaillierte Berichte über historische Ereignisse, geschäftliche, finanzielle und familiäre Angelegenheiten wie Geburten, Krankheiten und Hochzeitsfeiern sowie Geschichten aus der jüdischen weltlichen und Moralliteratur, die G. sowohl als gottesfürchtige als auch für ihre Zeit außergewöhnlich gebildete Frau ausweisen. Wegen ihrer zweiten Heirat mit Hirsch Levy, einem respektierten Gemeindevorsteher und reichen Witwer, zog G. nach Metz. Durch den baldigen Bankrott ihres Mannes wurde sie allerdings mittellos und musste den Lebensabend im Haus ihrer Tochter verbringen. Dort verfasste sie die letzten Teile ihrer Memoiren, die auch Kritik an der zerstrittenen jüdischen Gemeinde von Metz enthalten. Das Originalmanuskript ist verschollen, ihr Sohn Moses Hameln, Rabbiner von Baiersdorf, hatte aber eine heute in der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. befindliche Abschrift angefertigt. Der Budapester Gelehrte David Kaufmann hat sie 1896 unter dem Titel Sichrojnes maras (Erinnerungen der Frau) Glikl Hamil veröffentlicht, welche 1910 durch Bertha Pappenheim und 1913 durch Alfred Feilchenfeld ins Deutsche übersetzt wurden. Bis heute von großer Bedeutung sind G.s Schilderungen der innerjüdischen Geschichte – z. B. der Unruhen wegen des angeblichen Messias Sabbatai Zwi (1626-1676) – vor dem allgemeinen historischen Hintergrund Europas an der Schwelle eines neuen Zeitalters.