Robinow, Familie
In der Geschichte der Hamburger Kaufmannsfamilie R. spiegeln sich beispielhaft zwei historische Entwicklungen im 19. Jahrhundert, die für viele deutsche Juden prägend waren: Ein erfolgreicher sozioökonomischer Aufstieg ins Bürgertum zum einen sowie eine fortschreitende Säkularisierung der Gesellschaft zum anderen.
Rund vier Generationen lang, vom 18. Jahrhundert an, lebte die weitverzeigte Familie R. in Hamburg. Gründungsvater der Dynastie war der in Polen geborene Marcus (1770-1840), der von Altona aus eine Karriere als international tätiger Kaufmann und Bankier startete. Seine Heirat mit Emma Beit (1784-1830), Tochter eines wohlhabenden jüdischen Unternehmers, stärkte zusätzlich seinen sozialen Aufstieg ins hamburgische Bürgertum. Marcus R. war Mitglied in der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde, von 1820 bis 1825 dort als Vorsteher tätig, und zugleich Mitbegründer des reformorientierten → Tempelvereins, in dessen Vorstand er von 1817 bis 1839 wirkte. 1820 gründete er seine eigene Firma. Sein ältester Sohn Siegmund (1808-1870), verheiratet mit Therese Dieseldorff (1810-1890), übernahm das Unternehmen nach dem Tode des Vaters zusammen mit seinen Brüdern Adolph (1809-1885) und Meinhard (1814-1895), die beide jeweils eine Filiale in Schottland leiteten. Nach einem Konkurs der Firma 1848 trennten sich die Brüder, und Siegmund gründete 1859 zusammen mit seinem ältesten Sohn Hermann (1837-1922) erneut ein sehr erfolgreiches, internationales Import- , Export- und Kommissionsgeschäft. 1859 wurde Siegmund als Vertreter der Liberalen in die Hamburger Bürgerschaft gewählt, der er bis 1865 angehörte. Wie sein Vater engagierte er sich auch im Tempelverein und in jüdischen → Wohlfahrtseinrichtungen. Doch verstand sich Siegmund als Freidenker, der nur zwangsweise Mitglied einer konfessionellen Gemeinschaft war. Nachdem 1864 durch ein Gesetz der Bürgerschaft dieser Zwang entfiel, trat er zusammen mit seiner Familie im Dezember aus der Jüdischen Gemeinde aus, ohne zugleich zu konvertieren. Sein Sohn Hermann Moses (1837-1922), der das Geschäft des Vaters zusammen mit seinem Bruder Johannes (1838-1897) erfolgreich ausbaute, konnte den Weg der R.s in die hamburgische Wirtschaftselite weiter fortsetzen. Hermann, verheiratet mit Flora May (1845-1891), war Mitglied der Deputation für Handel und Schifffahrt, von 1895 bis 1902 Vizepräsident der Handelskammer sowie bis 1907 Mitglied der Bürgerschaft. Seine vier Kinder blieben, wie er selbst, konfessionslos. Einige seiner Neffen wurden allerdings getauft, so zum Beispiel Franz R. (1880-1960), der 1921 als Ministerialrat in die Reichsverwaltung nach Berlin ging. Dennoch blieben die R.s den Kreisen der assimilierten jüdischen Familien Hamburgs verbunden. Den weitverzweigten Handelsbeziehungen und internationalen Verbindungen des Unternehmens ist es schließlich zu verdanken, dass in den dreißiger Jahren fast alle Familienmitglieder der nationalsozialistischen Verfolgung entkommen konnten.