Deutsch-Israelitische Gemeinde (DIG)

Gemeindehaus (DIG)

Die D. zu Hamburg entstand als selbständige jüdische Gemeinde nach Auflösung der Dreigemeinde AHW (Altona, Hamburg, Wandsbek) im April 1812. Mit etwa 6.300 aschkenasischen Juden war die DIG, wie sich die Gemeinde seit 1821 nannte, zu dieser Zeit die größte jüdische Gemeinschaft in Deutschland.

Nach dem Ende der Franzosenzeit (1811-1814), in der es für die Hamburger Juden eine volle rechtliche Gleichstellung gegeben hatte, setzte der Rat der Stadt Hamburg wieder das Judenreglement von 1710 in Kraft. Die Stadt sah die D. als Zwangsgemeinde an, der jeder in Hamburg ansässige Jude angehören musste. Nach dem Großen Brand von 1842 wurden Beschränkungen für Juden hinsichtlich des Erwerbs von Grundeigentum und der Wahl der Wohngegend beseitigt. Der Rat der Stadt setzte die Grundfreiheiten der Paulskirchenverfassung von 1848 durch eine eigene Verordnung vom Februar 1849 in innerstädtisches Recht um. Hamburger Juden konnten nunmehr das Bürgerrecht erwerben. Die Hamburger Verfassung von 1860 begründete dann eine umfassende rechtliche Emanzipation. Das Gesetz von 1864 »betreffend die Verhältnisse der hiesigen israelitischen Gemeinden« beendete das Parochialsystem. Die Gemeinde konnte sich nur noch auf eine freiwillige Mitgliedschaft stützen. Bei der ersten Gemeindewahl 1865 wurden neun liberale und sechs orthodoxe Repräsentanten gewählt. Die D. mit jetzt etwa 14.000 Angehörigen drohte auseinander zu brechen. Erst nach zähen Verhandlungen und unter schiedsrichterlicher Hilfe des Senats konnte ein Kompromiss gefunden werden. Mit dem so genannten Hamburger System wurde – erstmals in Deutschland – in dem Gemeindestatut von 1867 eine innerjüdische Toleranzverfassung entworfen. Im Sinne eines föderativen Systems wurden unter dem organisatorischen Dach einer gemeinsamen Gemeinde zwei, später drei selbständige Kultusverbände gebildet. Die Gemeinde hatte das Schul- und Erziehungswesen, das allgemeine Wohlfahrtswesen, das Begräbniswesen, die eigene Beitragshoheit und Finanzverwaltung sowie die Vertretung der Gemeindeangelegenheiten nach außen wahrzunehmen. Es stand jedem Gemeindemitglied frei, sich einem der Kultusverbände oder nur diesem anzuschließen. Als Kultusverband waren der orthodox geführte Deutsch-Israelitische Synagogenverband (SV), der liberal orientierte Israelitische Tempelverband (TV) und die 1894 gegründete Neue Dammtor-Synagoge (NDS) (47), die einem gemäßigt konservativen Ritus folgte, anerkannt. Zahlreiche Kommissionen der übergeordneten Gemeinde hatten zum Ziel, eine innerjüdische Integration auf unterschiedlichen Ebenen zu erreichen. Im Kaiserreich dürften der SV etwa 1.200, der TV zwischen 600 bis 700 und die NDS um die 350 Mitglieder gehabt haben. Die Mehrheit der Gemeindemitglieder war allerdings keinem der Kultusverbände zugeordnet.

Die D. veränderte sich in der Zeit der Weimarer Republik. Die Gemeinde hatte jetzt etwa 20.000 Angehörige. Das entsprach einem Anteil von 1,73 Prozent der Hamburger Gesamtbevölkerung. Damit verfügte Hamburg nach Berlin, Breslau und Frankfurt a. M. über die viertgrößte jüdische Gemeinschaft in Deutschland. Diese Großgemeinde wurde durch Vorstand, Repräsentanten-Kollegium und zahlreiche Kommissionen von insgesamt 60 bis 70 Personen geführt und verwaltet. Hinzu kam eine Vielzahl von Vereinen, die in einem dichten Organisationsnetz das jüdische Leben in Hamburg prägten. Der ursprünglich liberalen Mehrheit erwuchs neben der Orthodoxie in den Zionisten zunehmend eine neue Opposition. Das erzwang, um der Einheit der Gemeinde willen, vielfältige Kompromisse. Zudem waren entkonfessionalisierende Tendenzen unter den Mitgliedern nicht zu übersehen. Die Organisationsdichte der Kultusverbände nahm daher ab, sodass in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts nur noch etwa 40 Prozent der Gemeindemitglieder einem der drei Kultusverbände angehörten.

Die antijüdischen Maßnahmen der nationalsozialistischen Machthaber zwangen die Gemeinde seit dem Sommer 1933 ihr bisheriges Aufgabenfeld sowohl zu erweitern als auch neu zu gewichten. Die gemeindliche Finanz- und Haushaltslage verschlechterte sich dramatisch. Dennoch widmete sich die D. verstärkt, nicht zuletzt als Ausdruck jüdischer Selbstbehauptung, jetzt der Berufsumschulung, der wirtschaftlichen Selbsthilfe, der allgemeinen Wohlfahrtspflege ( Sozial- und Wohlfahrtswesen), dem Schulwesen und der Organisation kulturellen Lebens. Die nach der Gemeindeverfassung für 1935 vorgesehenen Wahlen zum Repräsentanten-Kollegium verschob man zunächst auf das Jahr 1937, setzte sie dann angesichts der politischen Verhältnisse ganz aus. Die Zusammensetzung des Kollegiums, das satzungsgemäß den Vorstand zu wählen und den Gemeindehaushalt zu beschließen hatte, wurde durch ein vereinbartes Kooptationsverfahren ersetzt. Die Ersatzlisten mussten angesichts der fortdauernden forcierten Emigration immer wieder ergänzt werden. Ob das Gremium überhaupt noch den Willen der Gemeindemitglieder wiedergab, wurde so immer zweifelhafter. Anfang 1937 wurden durch Reichsgesetz die preußischen Städte Altona, Wandsbek und Harburg-Wilhelmsburg nach Hamburg eingemeindet. Die diesen Städten zugeordneten jüdischen Gemeinden wurden zum Januar 1938 in die D. aufgenommen, d. h., die Gemeinden zu Wandsbek und Harburg-Wilhelmsburg wurden aufgelöst, und die Hochdeutsche Israeliten-Gemeinde zu Altona erhielt den Status eines vierten Kultusverbandes. Auf behördlichen Druck nahm die Gemeinde den Namen »Jüdischer Religionsverband« an. Im März 1938 wurde allen jüdischen Kultusverbänden durch Reichsgesetz der Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft entzogen. Die Hamburger Gemeinde war nun ein eingetragener Verein bürgerlichen Rechts und verlor als solcher die Möglichkeit, die Mitgliedsbeiträge durch das Finanzamt einziehen zu lassen. Außerdem musste nunmehr Grundsteuer auf die gemeindlichen Grundstücke geleistet werden. Nach dem Pogrom am 9./10. November 1938 ( Novemberpogrom) wurde dann die alte Gemeindeverfassung beseitigt. Mit Anordnung vom 2. Dezember bestimmte die Gestapo den bisherigen Syndikus der Gemeinde zum allein verantwortlichen »Geschäftsführer« der Gemeinde und aller jüdischen Organisationen. Die Gestapo verwirklichte damit ein lang verfolgtes Ziel: Die Gemeinde sollte eine nur den Interessen der staatlichen Verwaltung, insbesondere der Gestapo, dienende Zusammenfassung der hamburgischen Juden werden. Im Frühjahr 1939 mussten die vier Kultusverbände formal ihre Tätigkeit beenden. Im Juli 1939 gab die D. zugunsten der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland weitgehend ihre verwaltungsmäßige Selbständigkeit auf. Ende Oktober 1941 setzten die ersten Deportationen ein, die bis zum 14. Februar 1945 fortgesetzt wurden. Im August 1942 wurde die D., jetzt der Jüdische Religionsverband e.V., formell in die Reichsvereinigung eingegliedert und verlor am 21. November 1942 endgültig ihre rechtliche Eigenständigkeit. Zu diesem Zeitpunkt lebten in Hamburg noch 1.792 Juden. Die Eingliederung hatte zur Folge, dass die Gemeinde als Bezirksstelle der Reichsvereinigung alle »Juden« nach der Definition der so genannten Nürnberger Gesetze aufzunehmen hatte, auch wenn diese nach jüdischem Religionsgesetz keine Juden waren. Die Reichsvereinigung wurde ihrerseits am 10. Juni 1943 auf Anordnung des Reichssicherheitshauptamtes aufgelöst. Die Gestapo ließ bis zum Ende des Krieges nur noch einen sehr eingeschränkten Zusammenschluss der Hamburger Juden unter Leitung eines »Vertrauensmannes« zu. Als das NS-Regime Anfang Mai 1945 zusammenbrach, befanden sich noch 647 »Juden« in Hamburg. 8.877 namentlich ermittelte Juden in und aus Hamburg, wahrscheinlich annähernd 10.000, wurden Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungen.

Ina Lorenz