Beerdigungswesen
Mit der meist Chevra Kadischa de Kabronim (Ch.) genannten Beerdigungsbruderschaft begründete das aschkenasische Judentum im 16. Jahrhundert eine Institution, die die praktischen und religiösen Bedürfnisse zur Bewältigung von Tod und Begräbnis erfüllen sollte.
Idealtypisch bestanden die Aufgaben einer Ch. in der pflegerischen Fürsorge für Kranke, der Betreuung der Sterbenden, der Durchführung der Beerdigung, der Verwaltung der Friedhöfe und der Gestaltung der Trauerzeit, bis die Angehörigen des Verstorbenen diese Aufgabe übernehmen konnten. Die Funktionen in der Ch. wurden ehrenamtlich übernommen. Für die Versorgung von armen Kranken und Sterbenden hatte sich die Chevra Kadischa deBikur Cholim (Heilige Vereinigung für Krankenbesuch) gegründet. Im → Dreigemeindeverband AHW gab es mindestens drei Beerdigungsbruderschaften. Das genaue Gründungsdatum der Beerdigungsbruderschaft Altonas ist nicht bekannt, sie war jedoch bereits 1685 aktiv. Kodifizierte Statuten existieren aus dem Jahr 1710, die bis ins 19. Jahrhundert gültig waren. Die maximal 45 Mitglieder mussten verheiratete Männer aus der Altonaer Gemeinde sein. Ein Vorstehergremium verwaltete Gelder und Aufgaben der in Altona und Hamburg tätigen Vereinigung. Die Mitglieder wurden in Wachen eingeteilt, die für die Durchführung der rituellen Reinigung des Leichnams, des Begräbnisses und der Trauergebete zuständig waren. In Altona war auch eine »Schwesternschaft« tätig. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wurde der Tod durch die Atemprobe, Pulslosigkeit, Blässe, Kälte der Haut, Augenveränderungen, Totenflecken und Totenstarre festgestellt. Meist wurde die Beisetzung sechs Stunden nach Feststellung des Todes durchgeführt. Nach der rituellen Reinigung, der Tahara, wurde der Tote in ein weißes, leinenes Totengewand gekleidet und mit einem Tuch bedeckt. In Altona wurden die Toten in einfachen Särgen beerdigt. Der Sarg wurde von Angehörigen der Ch. auf den Schultern zum Grab getragen, das erst gegraben werden durfte, wenn die Leiche auf dem → Friedhof war. Erst wenn das Grab geschlossen war, konnte das Totengebet, der Kaddisch, gesprochen werden. Noch auf dem Friedhof mussten die Vorsteher der Ch. den Namen des Toten, seines Vaters und seiner Mutter, der Familie, das Todesdatum, die Grablage und die benachbarten Gräber in ein Register eintragen. Der Grabstein wurde meist nach einem Jahr, am ersten Jahrestag des Todes aufgestellt. Jedes Grab sollte einen Grabstein als Kennzeichnung erhalten, um eine zweite Beerdigung am selben Ort auszuschließen und um dort die nötigen Gebete abhalten zu können. Die Ch. war bis weit ins 19. Jahrhundert hinein für die Disziplin auf dem Friedhof wie auch für dessen Instandhaltung zuständig. Für die Hamburger Ch. ist ein Gründungsdatum von 1670 überliefert. Ihre Gründung wird als ein Teil der Bestrebungen angesehen, eine eigene Gemeindestruktur zu etablieren. Ihre Struktur, Statuten und Aufgaben entsprechen denen der Altonaer Ch. 1804 gründeten 50 Mitglieder der Gemeinden eine »Neue Beerdigungsgesellschaft«, die eine individuelle Regelung der Begräbnisfrist durchsetzte, um der Angst vor dem »Scheintod« zu begegnen. Auch um die Gestaltung (Symbole, Sprache) der Grabsteine entstanden Auseinandersetzungen, die im 19. Jahrhundert noch von der Beerdigungsbrüderschaft geregelt werden konnten. Schließlich nahm die zentrale Stellung der Begräbnisbruderschaft ab, bis aus der »Heiligen Vereinigung« ein Verein unter vielen geworden war. Nach und nach übernahm die Gemeindeverwaltung Aufgaben der Vereinigung, wie etwa die Überwachung der Friedhöfe.