Emanzipation

Der Begriff E. wird als Epochenbezeichnung für eine etwa 100 Jahre dauernde Auseinandersetzung um die bürgerliche und politische Gleichberechtigung der Juden verwendet. Diese Epoche begann mit der Aufklärung und endete mit der Gründung des Deutschen Reichs 1871. Der Begriff »emancipatio« stammt aus dem römischen Recht und bezeichnet den Rechtsakt, mit dem erwachsene Söhne und später auch Sklaven aus der Gewalt des Hausherrn entlassen und als freie, selbstverantwortliche Bürger in der Gemeinschaft anerkannt wurden.

Mit der Anwendung dieses Begriffs in der zeitgenössischen Publizistik auf die Gleichstellung eines in rechtlicher, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht durch Sonderbestimmungen eingeschränkten Bevölkerungsteils kam zum Ausdruck, dass die E. einen politischen Akt der Gewährung von Rechten durch die Obrigkeit darstellte. Dennoch wurde von Anfang an gefordert, die jüdische Gemeinschaft solle als Voraussetzung für die Gleichstellung Leistungen erbringen und sich dieser würdig zeigen. Die nichtjüdische Seite bezeichnete dies als »Erziehung der Juden«. Bald schon zeigten sich die Folgen dieser Konstellation: Individuelle wie gruppenbezogene Veränderungen, die man als Assimilation bezeichnete, wurden in der Regel als ungenügend eingeschätzt oder riefen sogar Ängste vor der jüdischen Konkurrenz hervor. Im Laufe des sich über Jahrzehnte erstreckenden Prozesses der E. stellte sich heraus, dass die Realisierung der rechtlichen Gleichstellung der Juden an die Modernisierung der Wirtschaft und die Demokratisierung der Gesellschaft gebunden war. Beides vollzog sich in den deutschen Staaten nur sehr langsam und gegen erhebliche Widerstände. Die jüdische Bevölkerung hat den Prozess der E. aktiv zu beschleunigen versucht und damit auch eine innerjüdische Entwicklung der Veränderung und Modernisierung vorangetrieben. Am Ende des Prozesses war die bürgerliche und politische Gleichstellung der Juden im Rahmen der Gleichberechtigung der gesamten (zunächst männlichen, seit 1918 auch weiblichen) Bevölkerung erreicht, und das Judentum wurde durch mehrere religiöse und politische Richtungen repräsentiert. Es hatte sich damit als jüdische Minorität stabilisiert.

Die tatsächlichen Schritte der E. und der Assimilation sind in den einzelnen deutschen Staaten unterschiedlich verlaufen. Der Stadtstaat Hamburg weist dabei sowohl auf der politisch-gesellschaftlichen Seite wie im Hinblick auf die jüdische Gemeinschaft Besonderheiten auf. Unter der französischen Besatzung 1811 bis 1814 hatten Juden in Hamburg die vollen bürgerlichen und politischen Rechte erhalten. Diese Gleichstellung hatte jedoch nach 1814 keinen Bestand mehr; im Gegenteil: der Rat setzte das Judenreglement von 1710 wieder in Kraft. Alle Gesuche und Rechtsgutachten der Juden stießen bei der wieder eingesetzten Hamburger Regierung sowie auch auf dem Wiener Kongress auf vehemente Ablehnung. Der auf Veränderung drängende Teil der jüdischen Bevölkerung – Kaufleute, Juristen, Lehrer und Ärzte – konzentrierte sich nach dieser Niederlage auf die Modernisierung des jüdischen Lebens. Im Vordergrund standen Reformen des jüdischen Schulwesens, um Heranwachsende auch der unteren Schichten zu »nützlichen Menschen und brauchbaren Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft zu veredeln«. Dazu gehörten insbesondere das Erlernen der deutschen Sprache und Schrift sowie die Vermittlung einer elementaren weltlichen Bildung. Die Reform des Unterrichts wurde erweitert durch eine gezielte Berufspolitik, die Juden z. B. für das Handwerk gewinnen sollte. Die Umgestaltung des kultischen Lebens – also die Modernisierung des Gottesdienstes und des religiösen Lebens – sollte einerseits die Akzeptanz durch die Umwelt erhöhen, andererseits aber auch ein jüdisches Leben innerhalb der Umwelt ermöglichen. Langjährige innerjüdische Auseinandersetzungen begleiteten diesen Prozess. In Hamburg konnte allerdings eine Verständigung zwischen orthodoxen und liberalen Juden erreicht werden, die eine Gemeindeorganisation mit selbständigen Kultusverbänden unterschiedlicher religiöser Richtungen zuließ. Erst mit dem Erstarken der Reformbewegung in Hamburg in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts ( Tempel) bemühte sich die Gemeinde wieder, eine gesetzliche Verbesserung herbeizuführen. Persönlichkeiten wie Gabriel Riesser und Anton Rée trugen wesentlich dazu bei, den Kampf der Juden um ihre Gleichstellung aufzunehmen und den Forderungen nach Assimilation und Konversion selbstsicher zu begegnen. Politisch konservative Kräfte in der Stadt schürten jedoch Ängste vor politischen Veränderungen. Wie schon 1819 zeigte ein Teil der Bevölkerung seine Ablehnung in Angriffen gegen Juden (1835), in deren Folge die Reformbemühungen eingestellt wurden. Der Große Brand 1842 brachte wieder Bewegung in die Debatte, nicht zuletzt aus Dankbarkeit für das patriotische Verhalten von Salomon Heine. Dennoch konnte nur ein kleiner Fortschritt erreicht werden, nämlich die Aufhebung der Beschränkungen beim Erwerb von Grundeigentum. Es war wiederum ein Anstoß von außen, die revolutionäre Bewegung von 1848, die in Verbindung mit dem Engagement von Juden und Nichtjuden in der Hamburger liberalen Reformbewegung 1849 zur bürgerlichen Gleichstellung der Juden führte. Auch diese Reform war von zahlreichen gegen Juden gerichteten Flugblättern und gezielten Stimmungen begleitet. Der Rat der Stadt Hamburg erließ dennoch am 21. Februar 1849 eine Verordnung, die den Juden den Erwerb des Bürgerrechtes erlaubte und ihnen damit auch den Zugang zu zahlreichen neuen Berufen ermöglichte. Die E. der Juden kam dann 1860 in Hamburg mit der Verabschiedung einer neuen Verfassung zum Abschluss, die eine Folge bereits erreichter politischer und insbesondere wirtschaftlicher Veränderungen war. Die Verfassung gewährte den Bürgern der Stadt liberale Freiheiten, so unter anderem die volle Glaubensfreiheit und, damit verbunden, die Unabhängigkeit bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte vom Glaubensbekenntnis. Die Gleichstellung der Juden war kein Zugeständnis an eine inzwischen assimilierte, zahlenmäßig bedeutende und ökonomisch wichtige Gruppe in der Bevölkerung, sondern Teil der Modernisierung und Demokratisierung der ganzen Gesellschaft. Die Mehrheit der nunmehr gleichgestellten Juden verstand sich als »jüdische Bürger«, wobei das »jüdisch« ein ebenso wichtiger Bestandteil war wie »Bürger«. Die jüdische Gemeinde präsentierte sich als ein Verband, der die religiösen und sozialen Interessen einer Minderheit zu vertreten hatte.

Helga Krohn