Ausschreitungen, antijüdische

Die Präsenz einer namhaften jüdischen Bevölkerungsminderheit im Hamburger Raum geriet zum exemplarischen Konfliktthema zwischen lutherischer Orthodoxie und pragmatischer Politik, war ein wichtiger Gegenstand im Widerstreit hamburgischer und dänischer Machtansprüche und erwies sich als geeignetes Ventil für die Austragung politischer und sozialer Konflikte innerhalb der Stadt.

Gewalttätige Übergriffe werden in den Denkwürdigkeiten der Glikl von Hameln als alltägliche Erfahrung der Hamburger Juden des 17. Jahrhunderts geschildert. Wiederholt mündeten solche Zusammenstöße in gravierende antijüdische Ausschreitungen. So entstand 1730 in der Neustadt aus nichtigem Anlass ein »Judentumult« (»Geseroth Henkelpöttche«), der erst nach Tagen unterdrückt werden konnte; in Altona wurden 1749 durch den »Pöbel« die Häuser mehrerer Juden geplündert und die Fenster der Synagoge zerstört.

Die unter dem Vorzeichen verbreiteter Judenfeindschaft leicht zu mobilisierende Gewalt der Straße ließ sich auch zur Durchsetzung politischer Ziele einsetzen. Wiederholt waren Versuche erfolgreich, auf diese Weise rechtlich-politische Zugeständnisse an die jüdische Minderheit zu verhindern und eine restriktive »Judenpolitik« durchzusetzen. So erzwang 1746 eine gewalttätige »Menge allerhand gemeinen Gesindels« den Abbruch eines neu errichteten jüdischen Bethauses in der Neustadt. Im 19. Jahrhundert wurde Hamburg mehrfach zum Schauplatz schwerer antijüdischer Unruhen, die in erster Linie ein Ausdruck vehementer Ablehnung der Judenemanzipation (Emanzipation) waren. Die antijüdischen »Hepp-Hepp-Krawalle«, die im Sommer 1819 weite Teile Deutschlands erschütterten, nahmen in Hamburg ihren Ausgang von den Pavillons an der Binnenalster, aus denen jüdische Gäste allabendlich gewaltsam vertrieben wurden. Der Kaffeehausbesuch von Juden war in der Hansestadt mehrfach zum Gegenstand erregter öffentlicher Debatten geworden und stand für den Anspruch der jüdischen Minderheit auf Zugehörigkeit zur bürgerlichen Gesellschaft. Auch die Wohnhäuser einiger wohlhabender jüdischer Familien am Rödingsmarkt, an der Neustädter Fuhlentwiete und auf der Großen Bleiche, die gleichfalls gezielt angegriffen wurden, versinnbildlichten die Überschreitung gesetzter Grenzen, da sie außerhalb der den Juden zugewiesenen Straßenzüge lagen. Nachdem die Angreifer bei jüdischen Kaffeehausbesuchern auf organisierte Gegenwehr getroffen waren, mündeten die Angriffe in schwere Ausschreitungen und Plünderungen in den von Juden bewohnten Straßen, die schließlich durch das Bürgermilitär unterdrückt wurden. Die außerhalb der »erlaubten« Straßen bezogenen Wohnungen mussten von den Juden allerdings bald nach der Niederschlagung der Krawalle geräumt werden. Auch die »vergessene« Revolution des Jahres 1830 wurde in Hamburg von antijüdischen Ausschreitungen eingeleitet. Sie nahmen erneut ihren Ausgang bei den Pavillons und in den von Juden bewohnten Straßen, schlugen jedoch bald in allgemeine Unruhen um, die sich vor allem gegen Polizei und Militär richteten, mehrere Todesopfer forderten und erst nach Tagen mühsam unterdrückt werden konnten. Im Sommer 1835 kam es in Hamburg erneut zu Krawallen bei den Alsterpavillons. Wieder wurden allabendlich jüdische Gäste unter Misshandlungen aus den Kaffeehäusern vertrieben; die Behörden schritten äußerst zögerlich ein und ahndeten die »Ordnungswidrigkeit« von Juden, die sich verteidigt hatten, härter als die Gewalttaten ihrer Angreifer. Der Ausbruch der Krawalle wurde als Reaktion auf eine damals in Aussicht genommene Reform der Hamburger Judengesetzgebung aufgefasst, die allerdings nach den Krawallen wieder aufgegeben wurde, noch ehe sie konkrete Gestalt angenommen hatte.

Stefan Rohrbacher