Goldschmidt, Joseph

Pädagoge und Schulleiter, geb. 9.11.1842 Rakwitz (Posen), gest. 13.6.1925 Hamburg

G. war der erste hauptamtliche Direktor der Talmud Tora Realschule (TTR), da die Anstalt bis zu seiner Ernennung im Jahre 1889 der Aufsicht des jeweiligen Hamburger Rabbiners unterstand. G. war ein gesetzestreuer Jude, der den jüdischen Glauben als erstes Erziehungsziel auf sein Banner schrieb. Nach seinem Studium der klassischen Philologie in Berlin und Halle, das er mit der Promoton abschloss, unterrichtete er zunächst am Auerbachschen Waiseninstitut für Knaben in Berlin. 1867 bis 1876 war er Lehrer in Hamburg, 1876 bis 1889 Lehrer an der Realschule der Israelitischen Religionsgesellschaft in Frankfurt a. M. Im Einklang mit der damaligen Zeitströmung war er deutsch-national gesinnt, begeisterte sich für deutsche Literatur sowie für die Geschichte des deutschen Mannes und seiner Hamburger Heimat. Zionistischen Ideen hingegen stand er distanziert gegenüber. Seiner jüdischen wie auch deutsch-nationalen Gesinnung entsprechend räumte das Curriculum der Schule den traditionellen Bibel- und Talmudstudien wie auch den Fächern deutsche Geschichte und Literatur weiten Raum ein. Seine pädagogischen Prinzipien entsprachen den zeitgenössischen Standards, zu denen etwa strenge Disziplin, Gehorsamkeit, präzise Klasseneinteilung nach Alter und Leistung – sowie vor allem gebührende Distanz zwischen Lehrern und Schülern gehörte.

Unter seiner Leitung kamen aber auch Aspekte seiner jüdisch-sozialen Anschauung zum Ausdruck. Während seines ca. dreißigjährigen Amtes blieb die TTR eine Einheitsschule im doppelten Sinn: Schüler aus religiösem und weniger religiösem Milieu wurden in der Schule aufgenommen; weder Lehrer noch Schüler wussten, wer die TTR als Freischule besuchte und wessen Eltern für Schulgeld, Schulbücher wie auch angemessene Bekleidung selbst aufkamen.

G. war ein gebildeter Mann: In seinen Veröffentlichungen kommt sein Versuch einer Synthese zwischen der traditionell ausgelegten Bibel und der deutschen Klassik zu wissenschaftlichem und religiösem Ausdruck, und seine Festschrift zur Hundertjahrfeier der TTR (1905) zeugt bis heute von seinem gewissenhaften Geschichtsbewusstsein.

Miriam Gillis-Carlebach