Melchior, Carl

Bankier, geb. 13.10.1871 Hamburg, gest. 30.12.1933 Hamburg

M.s Vater Moritz war Mitglied der Bürgerschaft und stammte in vierter Generation aus einer jüdischen Gelehrten- und Kaufmannsfamilie. Die Mutter Emilie war eine geborene Rée. M. studierte seit 1890 Rechtswissenschaft, promovierte 1893 und erwarb 1897 in Hamburg die Befähigung zum Richteramt. 1902 beantragte er seine Entlassung als Amtsrichter und ließ sich als Rechtsanwalt nieder. Noch im selben Jahr berief ihn Max M. Warburg zum Syndikus des Bankhauses M. M. Warburg. 1911 wurde M. dessen Generalbevollmächtigter, 1917 Teilhaber. In den deutsch-russischen Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk 1917/18 wurde er als Finanzberater Mitglied der deutschen Delegation. Auf Empfehlung von Max Warburg, der diese Aufgabe für sich abgelehnt hatte, wurde M. 1919 in den Friedensverhandlungen von Versailles als wirtschafts- und finanzpolitischer Vertreter einer der sechs Hauptdelegierten. Als die Alliierten unzumutbare Bedingungen stellten, empfahl er der Reichsregierung die Nichtannahme und trat von seiner Aufgabe zurück. Angebote, als Finanzminister in die Reichsregierung einzutreten, lehnte M. mit dem Hinweis auf zu befürchtende antisemitische Agitationen ab. In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde M. mehrfach von staatlicher Seite beauftragt, auf zahlreichen internationalen Konferenzen die deutschen Interessen mit dem Ziel zu vertreten, Deutschland von den Reparationen des Versailler Vertrages zu entlasten. Nach dem Beitritt Deutschlands zum Völkerbund wurde M. 1926 Mitglied der Finanzkommission, 1928/29 deren Vorsitzender. 1929 wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden der deutschen Delegation auf der Pariser Reparationskonferenz berufen. An den Haager Reparationskonferenzen von 1929 und 1930 nahm er als Sachverständiger teil. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten trat M. im April 1933 von allen offiziellen Ämtern zurück. M., der Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei war, gehörte der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg sowie dem liberalen Tempelverband an. War er in seinem Engagement zugunsten jüdischer Belange zunächst zurückhaltend gewesen, so änderte er diese Haltung mit dem politischen Aufstieg des Nationalsozialismus. 1932 gründete er den Zentralausschuss der deutschen Juden für Hilfe und Aufbau mit, ein Zusammenschluss aller jüdischen Wohlfahrts- und Auswanderungsorganisationen, und übernahm zusammen mit Ludwig Tietz dessen Geschäftsführung. Der Zentralausschuss kann als einer der Vorläufer der Reichsvertretung der deutschen Juden gelten, an deren Gründung M. im September 1933, wenige Monate vor seinem Tod, ebenfalls beteiligt war. 1984 stiftete die deutsche Bundesregierung an der Hebräischen Universität Jerusalem den »Carl-Melchior-Lehrstuhl«.

Ina Lorenz