Personen und Themen mit C
In W. ließen sich die ersten jüdischen Familien unter den Gutsbesitzern Rantzau nieder, vielleicht schon 1583/84.
Sicher beurkundet ist jüdischer Zuzug 1621, als vier Schutzjuden aus Altona übersiedelten. Ein weiterer Schutzjude verstarb sogleich, weitere Todesfälle folgten, sodass sich die dringende Frage einer Bestattung nach jüdischem Ritus stellte. Das Gut gehörte inzwischen dem dänischen König und unterstand Berend von Hagen. 1637 erteilte der Pächter seinen Schutzjuden das → Privileg [1] der vollständigen Religionsausübung, d. h., Gottesdienste, Beschneidungen und Bestattungen waren erlaubt, Letztere auf einem zugewiesenen Grundstück für den → Friedhof Königsreihe [2] (119). Die dafür zu entrichtenden Schutzgelder basierten auf moderaten Tarifen. Auch auswärtige Juden waren in diese Rechte mit einbezogen. Nach einer Generation hatte sich die Gemeinde etabliert. Sie bestand aus Juden, die aus Hamburg ausgewiesen worden waren, frommen Exilanten aus Wilna sowie der wohlhabenden Großfamilie Delbanco aus Venedig, die 1670 aus Wien vertrieben worden war. 1671 wurde sie Teil der → Dreigemeinde AHW [3]. Innerhalb dieser Gesamtgemeinde durften Juden ihren Wohnsitz frei wählen, sodass eine Reihe von ihnen nach Hamburg zog, aber Wandsbeker Schutzjuden blieben. Im 18. Jahrhundert wohnten nur noch sechs bis sieben jüdische Familien in W. gegenüber 123 Haushalten in Hamburg. Die auf dem Gut verbliebenen Juden betätigten sich im An- und Verkauf von Waren und nicht eingelösten Pfändern, auch als Schächter und Fleischverkäufer. 1811 mussten sich die drei Gemeinden auf Geheiß des französischen Präfekten Hamburgs trennen. Die Gemeinde verlor damit einen Großteil ihrer zahlungskräftigsten Mitglieder und war fortan auf sich selbst gestellt. Bis 1840 konsolidierte sie sich so weit, dass erstmalig eine → Synagoge [4] (mit angegliederter Gemeindeschule) im Hinterhof Langereihe (Königsreihe) (118) erbaut werden konnte. Mit David Hanover wurde 1863 erstmals ein Rabbiner gewählt, der sowohl ein Rabbinerseminar als auch eine akademische Ausbildung absolviert hatte. Auf diese Weise untermauerte die Gemeinde ihren Anspruch auf bürgerliche Gleichstellung. Diese führte auch zu Konflikten mit dem Magistrat W., zum einen über die Aufstellung sog. Judentore im Stadtgebiet und zum anderen über die als illegal angesehene Beerdigung eines auswärtigen Juden 1883. Ein städtisches Gutachten leitete 1884 die Schließung des ersten Friedhofs ein. Ein neuer Friedhof in der Jenfelder Straße (120) konnte 1886 eingeweiht werden. Im September des gleichen Jahres fand in W. die Hochzeit des späteren Begründers der Psychaoanalyse Sigmund Freud mit Martha Bernays, einer Enkelin des 1841 verstorbenen Hamburger Rabbiners → Isaak Bernays [5], statt. 1902 übernahm → Simon Bamberger [6] das Rabbineramt in der etwa 200 Mitglieder zählenden Gemeinde. Er lenkte ihre Belange zusammen mit dem Gemeindevorsteher Benjamin Wolf (Benny) Beith bis zu ihrer Auflösung. Um 1900 und noch einmal um 1920 veränderte sich die Gemeinde durch den Zuzug neuer Mitglieder aus den deutsch-polnischen Provinzen. Mit der 1938 erzwungenen Vereinigung der Gemeinden Hamburg, Altona, Wandsbek und → Harburg-Wilhelmsburg [7] zum → Jüdischen Religionsverband Hamburg [8] hörte die durch → Emigration [9] und Abwanderung ohnehin stark dezimierte Gemeinde auf zu existieren. Im Oktober 1938 wurde die Synagoge geschlossen. Während des → Novemberpogroms [10] wurden auf die beiden Friedhöfe, die Synagoge und mehrere Geschäfte Anschläge verübt. Mindestens 100 Gemeindemitglieder wurden seit 1941 deportiert (→ Deportation [11]), nur zwei von ihnen überlebten. An die altehrwürdige Gemeinde erinnern heute nur noch die beiden Friedhöfe, je ein Gedenkstein für Rabbiner Bamberger und die Synagoge (124) und »Stolpersteine« (→ Gedenkstätten und Gedenkkultur [12]) für einzelne Deportationsopfer.
Kunsthistoriker, geb. 13.6.1866 Hamburg, gest. 26.10.1929 Hamburg
Nach dem Abitur am Hamburger Johanneum studierte W. ab 1886 Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie in Bonn, München und Straßburg. Für seine 1892 vorgelegte Dissertation ging er nach Florenz, um dort Untersuchungen über die Vorstellungen von der Antike in der italienischen Frührenaissance durchzuführen. Seit 1897 war er mit der protestantischen Malerin Mary Hertz verheiratet. Aus der Ehe gingen die Kinder Marietta, Max Adolph und Frede C. hervor. Um 1900 begann W. eine intensive Vortragstätigkeit, die weite Beachtung fand. Dagegen veröffentlichte er zeitlebens nur relativ wenige Texte, stets skeptisch gegenüber deren Qualität. Sie bezeugen jedoch einen intellektuellen und sprachschöpferischen eigenwilligen Kopf. W. wollte schon früh einen selbständigen Weg gehen. So wandte er sich während des Studiums mehr und mehr von religiösen Praktiken ab, die in seinem Elternhaus noch traditionell gepflegt wurden. Anstellungen an der Hamburger Kunsthalle schlug er aus, ebenso ein Angebot der Universität Kiel. 1912 verlieh ihm der Hamburger Senat die Professorenwürde – nicht nur wegen seiner Verdienste um die kulturgeschichtliche Wissensvermittlung, sondern weil er seit 1907 mit der Gründung der Hamburger »Wissenschaftlichen Stiftung« die Idee einer Universität maßgeblich gefördert hatte. Seit 1888 kaufte W. in großen Mengen Bücher an, die um 1911 eine 15.000 Bände umfassende Bibliothek ausmachten. Zwei Jahre später stellte er → Fritz Saxl [13] als Forschungsassistenten ein. Der wissenschaftliche Grundstock für die → Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg [14] (KBW) war gelegt. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs brach W. physisch und psychisch zusammen. Erst 1924 kehrte er nach mehreren Sanatoriumsaufenthalten nach Hamburg zurück. Im Mai 1926 wurde die KBW mit 46.000 Bänden in der Heilwegstraße (93) eingeweiht. Bis zum Ende seines Lebens arbeitete W. an einem neuartigen Bildatlas (Mnemosyne), um das Fortwirken der Antike zu dokumentieren. W. war nach eigener Aussage »Jude von Geburt, Hamburger im Herzen, im Geiste ein Florentiner«, eine Kombination, die sich im Leben und Werk auf eine faszinierende Weise realisierte.
Bankier, geb. 15.4.1900 Hamburg, gest. 9.7.1990 Hamburg
Der Lebensweg W.s war geprägt und überschattet von der Existenzvernichtung jüdischer Unternehmer unter nationalsozialistischer Herrschaft und einem schwierigen Neubeginn nach 1945. Nach Ausbildung zum Bankkaufmann in Berlin, Frankfurt, London und New York war der Sohn → Max M. Warburgs [15] 1929 als Teilhaber in das väterliche Bankhaus eingetreten. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 und die → »Arisierung« [16] der Bank 1938 beendeten jedoch seine Tätigkeit in Hamburg und zwangen ihn ins amerikanische Exil (→ Emigration [9]), wo er das Bankhaus E. M. W. & Co. in New York gründete. Nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor trat er in die amerikanische Armee ein, in deren Diensten er u. a. kriegsgefangene Offiziere und hohe Würdenträger des NS-Regimes wie Hermann Göring verhörte. 1956 kehrte er endgültig nach Hamburg zurück und trat im Oktober 1956 als persönlich haftender Gesellschafter in die frühere elterliche Firma – jetzt Brinckmann, Wirtz & Co. – ein, wo er sich vergeblich um eine Rückkehr zum alten Namen M. M. Warburg & Co. bemühte. Eine besondere Bedeutung erlangte W. als informeller Mentor der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Er war mit dem amerikanischen Hochkommissar John McCloy persönlich befreundet, fungierte als Vorstandsmitglied des American Council for Germany und war an der Gründung der Atlantik-Brücke e.V. beteiligt, die noch heute einen »Eric M. Warburg-Preis« für besondere Verdienste um die deutsch-amerikanischen Beziehungen vergibt. Darüber hinaus setzte sich W. in zahllosen persönlichen Initiativen für die Entschädigung ehemaliger jüdischer Zwangsarbeiter durch deutsche Industrieunternehmen ein, die ohne sein Engagement nicht zustande gekommen wäre.
Die W.s gehörten seit dem 18./19. Jahrhundert zu den bedeutendsten Familien des jüdischen Bürgertums in Hamburg, Deutschland und den USA.
Einer ihrer Vorfahren, der Geldwechsler Simon von Kassel, hatte sich 1559 im westfälischen W. niedergelassen und den Namen der Stadt als Familiennamen angenommen. Mit seinem Urenkel Juspa Joseph W., der sich 1668 im damals dänischen Altona niederließ, verlagerte sich der Familiensitz in den hamburgisch-norddeutschen Raum. Einer seiner Nachkommen, Gumprich Marcus W., verlegte 1773 seinen Wohnsitz nach Hamburg, wo seine Söhne Moses Marcus und Gerson 1798 das Bankhaus M. M. Warburg & Co. gründeten. Als Matriarchin der künftigen W.-Dynastie gilt Sara W. (1804-1884), die nach dem Tod ihres Mannes Abraham 1856 mehr als zwanzig Jahre die Geschicke der Bank leitete, und deren Kinder Siegmund und Moritz die Familienzweige der Alsterufer- und der Mittelweg-W. begründeten.
Die bedeutendsten Repräsentanten der Familie W. brachte die »vierte« Generation (seit Moses Marcus W.) hervor, zu der u. a. der Kulturwissenschaftler → Aby W. [18], der Bankier → Max W. [15] und sein Bruder Paul W. (1868-1932) gehörte, der 1902 von Hamburg nach New York übersiedelte, die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm und zu den Begründern der amerikanischen Zentralbank zählte. Die lange Friedensperiode und der wirtschaftliche Aufstieg des Kaiserreiches sowie die Jahre der Weimarer Republik schufen einen günstigen Rahmen, innerhalb dessen sich der Aufstieg der »vierten« Generation vollziehen konnte, während der Lebensweg der »fünften« Generation – repräsentiert durch den Bankier → Eric W. [19] (1900-1990) – von der Herrschaft des Nationalsozialismus, der → »Arisierung« [16] der Bank, der erzwungenen → Emigration [9] und der schwierigen Remigration nach 1945 überschattet wurde. [20]
Insgesamt brachte die Familie W. keineswegs allein »Geldwechsler« und Bankiers hervor. Auch bedeutende Naturwissenschaftler sind unter den W.s zu finden: So der Botaniker Otto W. (1859-1938), Mitbegründer der Hebräischen Universität Jerusalem und Leiter der dortigen botanischen Abteilung, der als einer der Nachfolger Theodor Herzls von 1911 bis 1920 als Präsident der Zionistischen Organisation fungierte. Der Biochemiker Otto Heinrich W. (1882-1970), Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Zellphysiologie in Berlin, erhielt für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Biochemie 1931 den Nobelpreis für Medizin.
Philantropie und Mäzenatentum sind ebenfalls mit dem Namen der Familie W. eng verbunden. So fungierte der Bankier Felix W. (1871-1937) aus der »vierten« Generation als Gründer und langjähriger Präsident des American Jewish Joint Distribution Committee, der bedeutendsten Hilfsorganisation der amerikanischen Juden. Seine Gattin Frieda W. (1875-1958) bedachte zahlreiche jüdische Einrichtungen in Amerika mit großzügigen Stiftungen und engagierte sich in besonderem Maße für den Aufbau Israels, u. a. als Ehrenpräsidentin der Hebräischen Universität. Lola Hahn-W. (1901-1989) und Anita W. (1908-1995), Töchter Max W.s, waren in besonderer Weise bei der Betreuung deutsch-jüdischer Flüchtlinge in Großbritannien und vor allem der so genannten »Kindertransporte« 1938/39 engagiert, ebenso ihre Schwester Gisela W. (1912-1991), die sich schon in Deutschland für die Auswanderung junger Juden engagiert und zeitweise das Büro der Jugend-Alija in Berlin geleitet hatte. In ähnlicher Weise setzte sich Ingrid W. Spinelli (1910-2000), Tochter des Bankiers Fritz W., als Mitglied des Emergency Rescue Committee während des Zweiten Weltkrieges für jüdische Flüchtlinge aus Europa ein.
Bankier und Politiker, geb. 5.6.1867 Hamburg, gest. 26.12.1946 New York
Der in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts bisweilen als »König von Hamburg« apostrophierte W. war der wichtigste Bankier innerhalb der Familiendynastie Warburg und darüber hinaus eine Persönlichkeit von politischer Bedeutung. Nachdem der Sohn von Moritz und Charlotte Warburg seine Banklehrzeit in Frankfurt, Amsterdam, Paris und London absolviert hatte, avancierte er 1893 zum Teilhaber bei M. M. Warburg & Co., deren internationale Verbindungen und Geschäftsaktivitäten er systematisch ausbaute. Gemäß der Bedeutung der Bank rückte W. in den Zentralausschuss bzw. den Generalrat der Reichsbank auf und fungierte seit 1902 als Vorstandsmitglied des Zentralverbandes des Deutschen Bank- und Bankiersgewerbes in Berlin. Schon im Kaiserreich nahm W. in der hamburgischen, deutschen und internationalen Politik eine wichtige Rolle ein: Er gehörte der Hamburger Bürgerschaft (1904-1919) sowie der Hamburger Handelskammer (1903-1933) an und zählte neben → Albert Ballin [21] zu den »Kaiserjuden«, die Wilhelm II. in Finanzfragen berieten. Aufgrund seines internationalen Ansehens wurde er 1919 als Finanzsachverständiger in die deutsche Friedensdelegation in Versailles berufen – eine Tätigkeit, die ihm später heftige Angriffe von antisemitischer Seite eintrug, obwohl W. die Ablehnung des Versailler Vertrages empfohlen hatte. Aufgrund dieser Erfahrungen lehnte W. alle Angebote ab, als Minister in ein Reichskabinett einzutreten. Nach 1933 nahm seine politische Bedeutung für die Juden in Deutschland stetig zu: Von 1935 bis 1938 fungierte W. als Vorsitzender des Hilfsvereins der deutschen Juden und als Ratsmitglied der Reichsvertretung der deutschen Juden. Mit großem persönlichen Engagement suchte W. die Möglichkeit zur → Emigration [9] für Juden – vor allem in finanzieller Hinsicht – zu verbessern und knüpfte diesbezüglich auch Kontakte zu Persönlichkeiten des NS-Staates. M. M. Warburg & Co. war sowohl an der »Paltreu« (Palästina Treuhand-Stelle der Juden in Deutschland GmbH) wie der »Alltreu« (Allgemeine Treuhandstelle für die jüdische Auswanderung GmbH) als Gesellschafter beteiligt, die emigrationswilligen Juden günstige Konditionen beim Devisentransfer ins Ausland gewährten. Nachdem M. M. Warburg & Co. Mitte 1938 »arisiert« (→ »Arisierung« [16]) und in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt worden war, reiste W. Ende August mit Frau und Tochter in die USA. Die eigentlich geplante Rückkehr nach Deutschland wurde durch den → Novemberpogrom [10] 1938 und die Verhaftung seines Bruders Fritz unmöglich gemacht. Den Sturz Hitlers und der Nationalsozialisten mitzuerleben war W. noch vergönnt, der im Exil verstarb.
Bankier und Mäzen, geb. 6.6.1816 Altona, gest. 25.11.1900 Altona
W. gehörte zu den bedeutendsten Repräsentanten des Altonaer Zweiges der → Familie Warburg [22]. Sein Vater Wulf Salomon hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Altonaer Bankhaus W. S. Warburg gegründet, das sich schnell zu einem bedeutenden Geldinstitut entwickelte und zahlreiche Unternehmer Hamburgs und Schleswig-Holsteins zu seinen Kunden zählte. Mitte des 19. Jahrhunderts nötigte Wulf Salomon Warburg seinen jüngsten Sohn Pius zum Eintritt in das Bankhaus, der nach dem Besuch des Christianeums ein Studium in Berlin aufgenommen hatte und dieses auf väterliche Weisung abbrechen musste. W. bewährte sich zwar in der ungeliebten Tätigkeit, konzentrierte seine Aktivitäten jedoch auf den politisch-kulturellen Raum. Von 1865 bis 1885 war er Stadtverordneter in Altona, wo er überdies als »Bürgerworthalter« fungierte, d. h. als Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung. Darüber hinaus gehörte W. dem schleswig-holsteinischen Provinziallandtag (1869 bis 1887) und dem Provinzialausschuss an. Auch in der Verwaltung der Hochdeutschen Israelitengemeinde und im Vorstand des Altonaer Kunstvereins war W. aktiv. Sein Haus in der Palmaille entwickelte sich schnell zum Zentrum des künstlerisch-gesellschaftlichen Lebens in Altona. Zu den Gästen W.s, der ausgezeichnet Cello und Klavier spielte, zählten u. a. die Musiker Johannes Brahms und Cornelius Gurlitt, der dänische Märchendichter Hans Christian Andersen und der Soziologe Ferdinand Tönnies. Als Kunstsammler und Mäzen reichte der Ruf W.s weit über die Altonaer Stadtgrenzen hinaus. Seine bedeutende Kunstsammlung vermachte er testamentarisch dem Altonaer Museum, und zu Ehren seiner Mutter Betty Warburg richtete er das Betty-Stift (112) ein, ein Wohnheim für alleinstehende ältere Damen, das auch heute noch besteht.
Politiker, geb. 23.2.1896 Landsberg a. d. Warthe (Oberschlesien), gest. 9.10.1983 Hamburg
W. wuchs in Liegnitz in einer liberalen jüdischen Arztfamilie auf. Am Ersten Weltkrieg nahm er als Sanitäter teil. Von 1919 bis 1922 absolvierte er ein Jurastudium, das er mit der Promotion abschloss. Es folgte die Große Staatsprüfung für privates und öffentliches Recht. Da er erst 1926 als Richter eingestellt werden konnte, arbeitete er, wie schon während des Studiums, als Journalist. 1927 wurde er persönlicher Referent des preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun. 1928 lernte er bei den Verhandlungen über das preußisch-hamburgische Hafenabkommen Max Brauer, damals Oberbürgermeister von Altona, kennen. Noch als Student war er unter dem Einfluss des Kapp-Putsches in die SPD eingetreten, strebte aber keine Funktionärsaufgaben an. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde W. aufgrund des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« in den Ruhestand versetzt. Die Flucht aus Deutschland (→ Emigration [9]) führte ihn über die Tschechoslowakei und Frankreich in die USA. In New York arbeitete W. nach einem erneuten Studium als Wirtschaftsprüfer. 1948 rief ihn Brauer, der seit 1946 Hamburger Bürgermeister war, zurück nach Deutschland. Obwohl W.s Mutter und seine Schwester in Auschwitz ums Leben gekommen waren, nahm er den Ruf an. Von 1948 bis 1957 wirkte er in Hamburg als Präsident des Rechnungshofes, danach als Finanzsenator. 1965 wurde er nach dem Rücktritt von Paul Nevermann Bürgermeister. Gemeinsam mit seiner Frau Elsbeth genoss er über die Stadt hinaus großes Ansehen. Er überzeugte durch seinen Sachverstand, politischen Weitblick und die Glaubwürdigkeit, mit der er seine Entscheidungen vertrat. Bei den Bürgerschaftswahlen 1966 erreichte er als Spitzenkandidat für die SPD mit 59 Prozent die größte Mehrheit in der Nachkriegsgeschichte. 1971 trat er im Alter von 75 Jahren als Bürgermeister zurück. In seine Amtszeit fällt die Aufnahme des Programms, jährlich ehemalige jüdische Bürger in ihre Heimatstadt einzuladen. Seine eigene jüdische Herkunft hat W. nicht öffentlich herausgestellt, zum Teil aus Sorge, neuen → Antisemitismus [23] zu provozieren oder alten wieder hervorzurufen. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass er dennoch antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt war. So fällt möglicherweise doch ein Schatten auf die Meinung Max Brauers: »Es war eine Demonstration. Ich wollte beweisen, dass die Hamburger einen jüdischen Mitbürger an leitender Stelle akzeptieren würden. Ich habe diese Entscheidung nicht bedauert. Und Hamburg hat sie nicht bedauert.«
Lehrerin, Leiterin sozialer Einrichtungen, Frauenrechtlerin, geb. 16.3.1860 Posen, gest. 27.12.1932 Bad Segeberg
W. stammte aus einer frommen jüdischen Kaufmannsfamilie, besuchte eine höhere Mädchenschule und anschließend ein Lehrerinnenseminar. Nach erstem Unterricht an der jüdischen Volksschule in Altona trat sie in den hamburgischen Volksschuldienst ein und blieb bis zu ihrer Pensionierung Lehrerin. 1893 gründete sie mit → Gustav Tuch [24] den → Israelitisch-Humanitären Frauenverein [25], dessen Vorsitzende sie 1908 wurde und bis zu ihrem Tod blieb. Der Verein entwickelte unter ihrer Leitung zahlreiche soziale Aktivitäten für Kinder, Jugendliche und Frauen. Neben ihrer sozialen Arbeit war W. vor allem im Kampf um die Rechte der Frauen aktiv. Sie setzte sich für die berufliche Qualifizierung der Frauen und ihre aktive Mitwirkung im gesellschaftlichen und politischen Leben ein. Als Kandidatin für die Bürgerschaftswahl 1919 erhielt sie von der Deutschen Demokratischen Partei jedoch nur einen aussichtslosen Listenplatz. In anderen Vereinigungen war sie dagegen in leitender Funktion tätig: 1904 war sie Mitbegründerin des Jüdischen Frauenbundes und als Nachfolgerin Bertha Pappenheims von 1915 bis 1925 dessen Vorsitzende. In dieser Funktion trat sie für das Frauenwahlrecht ein, kämpfte gegen den Mädchenhandel und vertrat den Frauenbund auf vielen Reisen im In- und Ausland. 1915 wirkte sie an der Gründung des Stadtbundes Hamburgischer Frauenvereine mit; 1917 wurde sie Vorstandsmitglied in der Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden und 1918 einzige Frau im Vorstand des Hamburger Jüdischen Schulvereins; 1919 war sie Mitglied im Notstandskomitee für die »Ostjuden« und 1921 im Jugendamt der Hamburger → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [26]. Darüber hinaus arbeitete sie mehrere Jahre als Beisitzerin in der Vereinigung für das Liberale Judentum. Dieses vielfältige Engagement W.s in sozialen und politischen Einrichtungen wurde öffentlich besonders wahrgenommen, als sie 1929 die Weltkonferenz der jüdischen Frauen in Hamburg organisierte.
Das Thema W. und seine Definition gehört bis heute zu den umstrittensten Aspekten der deutsch-jüdischen Geschichte während des »Dritten Reichs«.
Angesichts einer staatlichen Politik, die erst auf die völlige Entrechtung und Vertreibung und schließlich auf die Ermordung der jüdischen Bevölkerung abzielte, lässt sich jede gegen diese Politik gerichtete Handlung als W. begreifen, also alle Akte kleinen und großen nonkonformen Handelns, durch die Verfolgte versuchten, Würde, Lebensunterhalt oder Leben zu retten. In der Forschung wird dies meist unter dem Begriff »Selbstbehauptung« zusammengefasst, worunter z. B. auch die Tätigkeit der jüdischen Gemeinden als Institutionen fallen, die sich nach Kräften bemühten, die Not zu lindern, Alternativen zu finden und konkrete Hilfe zu beschaffen. In Hamburg wurde diese Arbeit vorwiegend vom Hilfsausschuss der vereinigten jüdischen Organisationen Hamburgs koordiniert, während dem → Jüdischen Kulturbund Hamburg [27] eine wichtige Rolle bei der moralischen Unterstützung der Verfemten zukam. Da die deutschen Juden schon vor 1933 keine homogene Gruppe mit gemeinsamen Zielen bildeten, war ein gemeinsames politisches Vorgehen gegen die neuen Machthaber nicht zu erwarten. Zudem hatten die verschiedenen antijüdischen Maßnahmen zur Folge, dass die jüdische Bevölkerung im Reich wie in Hamburg im Laufe der dreißiger Jahre zusehends verarmte, überalterte und verzweifelte – die Voraussetzungen für aktives Widerstehen also immer weniger gegeben waren. Dennoch kam es überall immer wieder zu mutigen Einzelhandlungen. In Hamburg protestierte der Kaufmann Walter Gutmann in einem Flugblatt, das er auch in anderen Städten verteilte, gegen den → Novemberpogrom [10]. Er wurde verhaftet, verurteilt und 1942 nach Auschwitz deportiert. Es waren vor allem jüngere jüdische Männer und Frauen, die den Nationalsozialismus von Anfang an organisiert und politisch bekämpften und somit W. im engeren Sinne leisteten. Viele von ihnen waren schon vor 1933 politisch organisiert gewesen, wie etwa die beiden ehemaligen Talmud-Tora-Schüler und Kommunisten Georg Oppenheim und Rudolf Neumann oder Hilde Schottländer, Tochter des Universitätsprofessors → William Stern [28] und Mitglied einer aus der KP ausgeschlossenen Splittergruppe. Andere kamen aus der jüdischen → Jugendbewegung [29] und hatten sich nach der Auflösung bzw. dem Verbot der nichtzionistischen Gruppen entweder neuen Parteien angeschlossen oder sich weiter in losen Freundeszirkeln getroffen, deren hauptsächliches Ziel es war, den inneren und geistigen Zusammenhalt in der Diktatur zu bewahren. Ersteres galt z. B. für Rudolf Levy und Gisela Peiper, die aus den »Kameraden« kamen und für den Internationalen Sozialistischen Kampfbund in Hamburg illegale Arbeit leisteten, Letzteres für die Gruppe um Kurt von der Walde, Marion Deutschland und Werner Philip, die noch 1935 antifaschistische Jugendarbeit mit Schulungen und Fahrten organisierten. Alle erwähnten Widerständler wurden in den dreißiger Jahren verhaftet und konnten nach relativ kurzer Haftstrafe ins Ausland fliehen. Dies sind jedoch nur einzelne Beispiele, der Gesamtanteil jüdischer Kommunisten und Sozialisten am Hamburger W. ist bislang nicht erforscht.
W. umfasst im juristischen Sinn die Rückerstattung konfiszierten bzw. verlorenen Eigentums sowie die Entschädigung für erlittene Nachteile, wozu auch die Ermordung verwandter Personen oder Haftzeiten zählen. In Hamburg entstand die erste der sehr komplizierten W.-Regelungen im Dezember 1945.
Die britische Militärregierung erließ die »Zonenpolitische Anweisung Nr. 20«, um Displaced Persons und politisch, »rassisch« oder aus anderen Gründen Verfolgte mit Lebensmittelsonderrationen, Wohnungszuteilungen, Arbeitsplätzen oder finanzieller Hilfe unterstützen zu können. Ein Ausschuss prüfte »Würdigkeit« und Bedürftigkeit der Antragsteller und bewilligte einen besonderen Ausweis. Im Mai 1948 erließ die Hamburgische Bürgerschaft als erstes W.sgesetz das »Gesetz über Sonderhilfsrenten«, das den von den Ausschüssen anerkannten Verfolgungsopfern – auch zurückgekehrten Emigranten – Renten gewährte. Es folgten das Haftentschädigungsgesetz (August 1949) und schließlich das Hamburger Allgemeine Wiedergutmachungsgesetz (April 1953), das fast zeitgleich mit dem Bundesentschädigungsgesetz erlassen wurde. Bis 1953 wurden nach dem Sonderhilfsrentengesetz ca. 23.300.000 DM, nach dem Haftentschädigungsgesetz ca. 31.100.000 DM und nach dem allgemeinem Wiedergutmachungsgesetz 175.000 DM an Verfolgte gezahlt. Bei den späteren Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz, nach dem bis 1970 Anträge gestellt werden konnten, dominierten für Hamburg die bewilligten »Schäden im beruflichen Fortkommen« und »Schäden an Körper und Gesundheit«.
Die Wiedergutmachungsverfahren wurden aus vielerlei Gründen immer wieder kritisiert: So führten (teils sogar NS-belastete) Gutachter bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts psychische und physische Schäden auf angeborene Faktoren zurück; staatliche Akten, die finanzielle Einbußen bewiesen hätten, wurden nicht zur Verfügung gestellt usw. Als problematisch erwies sich auch die Stichtagsregelung, nach der die Antragsteller ihren Wohnsitz zu einem bestimmten Zeitpunkt in Hamburg haben mussten, oder die Fristenregelungen, die Betroffenen im Ausland nicht unbedingt bekannt waren. Vor allem aber erwies sich die Ausgrenzung vieler Opfergruppen (beispielsweise Zwangssterilisierte, Homosexuelle, Kommunisten u. a. »vergessene Opfer des NS-Regimes«) oder Personen, die als Kriminelle galten, aber tatsächlich aus politischen Gründen verurteilt worden waren, als sehr problematisch. Um diese Mängel zu beseitigen, stellte der Hamburger Senat 1988 20 Mio. DM (später auf 22 Mio. aufgestockt) zur Gründung der Stiftung Hilfe für NS-Verfolgte bereit. Deren Vorstand, in dem die Hamburger Verfolgtenorganisationen vertreten sind, bewilligte einmalige Leistungen oder Renten für mehr als 1.700 Personen.
Juden haben im Hamburger Wirtschaftsleben der letzten vierhundert Jahre eine bedeutende Rolle gespielt. Vor allem als Händler und Bankiers, aber auch als Ärzte und Juristen nahmen sie teil am wirtschaftlichen Geschehen der Stadt und dies in vielen Fällen mit großem Erfolg.
Erfolgreiche Unternehmen wie das Bankhaus → Warburg [22] oder die Kaufhäuser der Gebrüder Heilbuth stehen exemplarisch für diesen Aspekt Hamburger Geschichte. Der Aufstieg von einer anfänglich lediglich zeitweise geduldeten Minorität zu einer in weiten Teilen dem städtischen Bürgertum angehörenden Bevölkerungsgruppe vollzog sich in mehreren Phasen. Waren es anfangs sefardische Juden (→ Portugiesisch-Jüd. Gemeinde [30]), deren Wirtschaftstätigkeit Hamburgs Rolle als Handels- und Finanzzentrum mit beförderte, so folgten ihnen seit dem 18. Jahrhundert die aschkenasischen Juden, die sich vor allem im Bereich des Waren- und Kredithandels, zunehmend aber auch in den freien Berufen betätigten.
Die sefardischen Juden waren, bedingt durch ihre Herkunft aus verschiedenen europäischen Hafenstädten, aber auch aufgrund ihrer weitverzweigten familiären und wirtschaftlichen Netzwerke vor allem im Seehandel tätig. Als Großhändler betrieben sie Überseehandel mit den spanischen und portugiesischen Kolonien und waren für den Hamburger Brasilienhandel zentral. Zu den wichtigsten Gütern, die sie nach Hamburg brachten, gehörten Zucker und Tabak. Um 1612 waren 18 der insgesamt 28 Händler, die in Hamburg mit Zucker handelten, sefardische Juden. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts verlagerten sich die Aktivitäten der Sefarden in Hamburg zunehmend auf den Juwelenhandel, das Geld- und Kreditwesen sowie auf die Vermittlung von Handelsgeschäften als Makler. Der Überseehandel scheint infolge verstärkter Handelsaktivitäten in Holland, England und Skandinavien für die Sefarden seit dieser Zeit an Bedeutung verloren zu haben. Die verstärkte Hinwendung zum Geld- und Kreditwesen war Ausdruck für die Entwicklung der Hansestadt zu einem der führenden Finanzzentren in Nordwesteuropa. Hamburger sefardische Geldhändler tätigten Geschäfte mit zahlreichen fürstlichen Regierungen und Residenzen und sorgten nicht nur für die Finanzierung politischer Angelegenheiten sowie des Kriegswesens, sondern auch für die Belieferung verschiedener Höfe mit Luxuswaren. Die restriktive Abgabenpolitik des Senates führte am Ende des 17. Jahrhunderts zu einem Rückzug vor allem wohlhabender sefardischer Juden aus Hamburg.
Seit dem 17. Jahrhundert begannen auch aschkenasische Juden sich in der Stadt niederzulassen. Da ihnen der Zugang zu den meisten Handwerken versperrt war, waren auch sie überwiegend im Handel tätig. Mehrheitlich lebten sie vom Kleinhandel, vorzugsweise Textilien, Kolonialwaren und Lebensmitteln. Der in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts einsetzende Aufschwung des Hamburger Handels infolge erweiterter Handelsmärkte zog auch die Öffnung neuer Betätigungsfelder für Juden nach sich. Einer zunächst kleinen Gruppe gelang es, sich erfolgreich im Geld- und Kreditwesen sowie im Großhandel, aber auch einigen frühen Industrieunternehmen, zu etablieren. Jüdische Unternehmer begründeten im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eine Reihe von Firmen, die noch 100 Jahre später als selbständige und florierende Geschäfte existierten, so etwa die Silberscheideanstalten der Gebrüder Beit (um 1773), der Gebrüder Jonas (1783) oder die Bankhäuser von Abraham Heilbut (um 1760), Moses Seligmann (1795), Levy Behrens (1796) oder Moses M. Warburg (1798). Während der französischen Besatzung der Stadt (1811-1814) gelangten weitere jüdische Kaufleute trotz eingeschränkter Handelsbedingungen zu geschäftlichen Erfolgen, insbesondere durch den Geldhandel (→ Salomon Heine [31], Marcus Abraham Heckscher, Jacob Oppenheimer oder Levy Hertz).
Die Gründung dieser und weiterer Unternehmen markiert den Beginn eines sich im 19. Jahrhundert vollziehenden Aufstiegsprozesses eines wachsenden Teils der Hamburger Juden, der nicht zuletzt in der für sie spezifischen Berufsstruktur begründet lag. Die folgenden Zahlen erhellen dies, wenn man berücksichtigt, dass Juden im 19. Jahrhundert etwa 4 bis 5 Prozent der Hamburger Bevölkerung ausmachten. In der Folgezeit sank ihr Anteil – trotz absoluter Zunahme – kontinuierlich auf 2,3 Prozent (1900) und schließlich auf unter 2 Prozent in den Jahren der Weimarer Republik. Im gleichen Zeitraum war etwa die Hälfte bis zu zwei Dritteln aller jüdischen Berufstätigen in Hamburg im Wirtschaftssektor »Handel und Verkehr« tätig, während lediglich ein Viertel bis zu einem Drittel aller Berufstätigen in der Hansestadt in diesem Bereich arbeiteten. Der Anteil der in »Industrie und Handwerk« tätigen Juden lag in dieser Periode zwischen 8 und 12 Prozent gegenüber etwa 32 Prozent der Gesamtbevölkerung und bei etwa 6 bis 7 Prozent im Bereich »Öffentlicher Dienst und freie Berufe« (Gesamtbevölkerung: 8 Prozent). Diese Durchschnittswerte spiegeln die für die jüdische Minderheit in Deutschland insgesamt charakteristische Berufsstruktur wider, die sich deutlich von der Gesamtbevölkerung unterschied. Einer überdurchschnittlichen Beschäftigung im Handelssektor standen eine relativ hohe Betätigung im Bereich freie Berufe und öffentlicher Dienst (bezogen auf den Anteil von Juden an der Gesamtbevölkerung) sowie eine weit unter dem Durchschnitt liegende Beschäftigung in Industrie und Handwerk gegenüber. Soweit es sich aufgrund der wenigen vorliegenden Zahlen beurteilen lässt, zählten auch im 19. Jahrhundert zu den bevorzugten Geschäftszweigen der Hamburger Juden der Handel mit Textilien und Tabak sowie die Vermittlung von Handelsgeschäften und das Geld- und Kreditwesen. Eine dominierende oder gar eine Monopolstellung hatten jüdische Unternehmer jedoch in keinem dieser Handelszweige inne. Selbst im Bereich der Privatbanken, wo Juden nicht nur in Hamburg stark präsent waren, lässt sich nur schwerlich von einer Dominanz jüdischer Bankiers sprechen. Die Bedeutung der Privatbanken für das allgemeine Wirtschaftsleben nahm zwar seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert aufgrund der Expansion anonymer Banken (Aktienbanken, Genossenschaftsbanken etc.) ab, doch spielten sie weiterhin eine wichtige Rolle, in Hamburg besonders im Im- und Exportgeschäft oder in der Kommissionierung von Waren aller Art. Etwas über die Hälfte aller Hamburger Privatbanken wurde 1923 von jüdischen Inhabern geleitet; bis 1930 ging ihr Anteil auf etwa 43 Prozent zurück.
Die berufliche Stellung ist im Hinblick auf die Wirtschaftstätigkeit ebenso relevant wie die ausgeübte Tätigkeit. Auch hier unterschieden sich Hamburgs Juden deutlich von der übrigen Bevölkerung. Den vorliegenden Angaben zufolge waren an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert 58 Prozent aller männlichen Juden selbständig tätig gegenüber 22 Prozent der übrigen Bevölkerung. Weitere 23 Prozent arbeiteten als Angestellte (gegenüber 12 Prozent der Gesamtbevölkerung), und 18 Prozent waren als Arbeiter und Gehilfen tätig (Gesamtbevölkerung: 63 Prozent). Obwohl sich in der Weimarer Republik diese Verhältnisse partiell änderten, blieb der Anteil der Selbständigen unter allen berufstätigen Juden mit 50 gegenüber 15,4 Prozent innerhalb der übrigen Erwerbstätigen sehr hoch. Der überdurchschnittliche Anteil an Selbständigen unter den Hamburger Juden bildete somit ein charakteristisches Merkmal der Beschäftigungsstruktur dieser Bevölkerungsgruppe.
Die soziale Schichtung der jüdischen Minderheit lässt sich vornehmlich mithilfe von Angaben zum Steueraufkommen beschreiben. 1832 zahlten 35 Prozent der Mitglieder der Gemeinde (→ DIG [26]) aufgrund mangelnden Einkommens (oder als von der Steuer befreite Kultusbeamte) keine Gemeindesteuern; bis 1860/61 sank ihr Anteil auf 27,5 Prozent. Der kontinuierlichen Abnahme der Armen und untersten Einkommensgruppen entsprach, wie Zahlen aus der Zeit des Kaiserreichs belegen, eine Zunahme der mittleren und höheren Einkommen, die sich von der Entwicklung der gleichen Einkommensgruppen in der Gesamtbevölkerung unterschied. 1871 hatten rund ein Drittel aller in der Hamburger Gemeinde registrierten Juden ein Einkommen zwischen 600 und 1.200 Mark, hingegen verfügten 62 Prozent der Gesamtbevölkerung über ein Einkommen in dieser Höhe. 43 Prozent der erwerbstätigen Juden versteuerten ein Einkommen zwischen 1.200 und 3.600 Mark und 27 Prozent ein über der Grenze von 3.600 Mark liegendes Einkommen (Vergleichszahl: 12,3 Prozent). Die soziale Schichtung der Hamburger Juden im Kaiserreich war also geprägt durch eine vergleichsweise kleine Gruppe geringer Einkommen sowie überdurchschnittliche Anteile in den mittleren und höheren Einkommensgruppen. Inwieweit diese Schichtung sich in der Zeit der Weimarer Republik veränderte, ist angesichts fehlender Zahlen nicht konkret zu belegen.
Ähnlich wie in anderen Teilen des Deutschen Reichs und hier besonders in den Großstädten vollzogen die Juden Hamburgs im 19. Jahrhundert in weiten Teilen einen sozialen Aufstiegsprozess, der sie zu einem ökonomisch gewichtigen, aber sozial weiterhin separierten Bestandteil des lokalen Bürgertums werden ließ. Ihre überwiegende Betätigung im Handel, an der sie auch in der Phase der Hochindustrialisierung festhielten, fand gerade in der Handelsstadt Hamburg ein gleichsam ideales Betätigungsfeld und trug somit in erheblichem Maße dazu bei, sich erfolgreich im städtischen Wirtschaftsleben zu betätigen. Die Bereitschaft und Fähigkeit, mit einem breit gefächerten Spektrum von Waren zu handeln, ein hohes Maß an Selbständigkeit sowie ihre spezifische Berufsstruktur ermöglichten es der jüdischen Minderheit, sich über Jahrhunderte hinweg erfolgreich am Hamburger Wirtschaftsleben zu beteiligen – in einzelnen Fällen sogar an herausragender Stelle.
Pädagogin, geb. 20.6.1841 Seesen, gest. 30.12.1919 Hamburg
W.s Mutter, eine aus Hamburg gebürtige → Warburg [22], kehrte nach dem frühen Tod ihres Mannes, des Schuldirektors → Immanuel Wohlwill [32], gemeinsam mit ihren fünf Kindern nach Hamburg zurück, wo sie Unterstützung von der verwandten Bankiersfamilie erhielt. W. besuchte eine höhere Töchterschule und erhielt außerdem Unterricht von den Reformpädagogen → Anton Rée [33] und Otto Jessen sowie von ihren studierenden Brüdern. Durch regelmäßige Hospitationen wuchs W. seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr in die Aufgaben einer Lehrerin für Kinder der Armen hinein. Als Armenschule und Kindergarten des Frauenvereins zur Unterstützung der Armenpflege 1866 ein eigenes Gebäude erhielten, wurde W. als Direktorin berufen. Unter ihrer langjährigen Leitung entwickelte sich die so genannte Paulsenstiftschule zu einer staatlich anerkannten höheren Mädchenschule. Nach der Trennung der Anstalt vom Frauenverein achtete W. darauf, dass die Tradition als ehemalige Armenschule erhalten blieb und die gemeinsame Erziehung von Schülerinnen aus allen sozialen Schichten sowie die finanzielle Förderung ärmerer Mädchen fortgesetzt wurde. 1906 feierte W. sowohl ihr 50-jähriges Lehrerinnenjubiläum als auch ihr 40-jähriges Dienstjubiläum als Direktorin. Zu diesem Anlass verlieh ihr der Senat als erster Frau eine goldene Denkmünze. Kurz vor Vollendung des siebzigsten Lebensjahres wurde W. 1911 pensioniert. Auch im Ruhestand blieb sie trotz zunehmender Erblindung im Schulvorstand der Paulsenstiftschule und setzte ihren Unterricht teilweise fort. Die neu konstituierte Demokratie ehrte die überkonfessionell tätige jüdische Pädagogin durch Benennung einer Straße nach ihr, die aber nach wenigen Jahren von den nationalsozialistischen Machthabern umbenannt wurde.
Chemiker und Wissenschaftshistoriker, geb. 24.11.1835 Hamburg, gest. 2.2.1912 Hamburg
W., Sohn des jüdischen Lehrers → Immanuel Wohlwill [32], wuchs in Seesen auf, bis er 1851 nach Hamburg zurückkehrte, wo er das Johanneum und das Akademische Gymnasium besuchte. 1855 bis 1860 studierte W. Chemie an den Universitäten Heidelberg, Berlin und Göttingen. Nach der Promotion unterrichtete er Physik in Hamburg und arbeitete als freiberuflicher Handelschemiker. Schließlich fand er eine Anstellung bei der Norddeutschen Affinerie, für die er das elektrolytische Verfahren zur Raffination von Buntmetallen und Gold entwickelte – die so genannte »Wohlwill-Goldelektrolyse«. W.s Leidenschaft galt der Wissenschaftsgeschichte, insbesondere der Physikgeschichte. Hier fand er eindrucksvolle Zeugnisse für den Kampf zwischen dem Alten und dem Modernen. Jahrzehntelang beschäftige er sich mit Galilei und der Entstehung eines neuen wissenschaftlichen Weltbildes im 17. Jahrhundert. Zu diesem Zweck lernte er Italienisch und studierte in Italien zahlreiche Quellen, u. a. auch die Akten des Galilei-Prozesses in den Vatikanischen Archiven. 1909 publizierte er den ersten Band seines Werks Galilei und sein Kampf für die copernicanische Lehre, der zweite erschien 1926 aus dem Nachlass. W. war ein liberaler Bürger Hamburgs, der sich auf eine sehr unabhängige Weise an der Auseinandersetzung um die → Emanzipation [34] der Juden beteiligte. Als er 1863 das Bürgerrecht beantragte, verweigerte er die Angabe seines Bekenntnisses, da er davon ausging, dass Religion Privatsache sei und nichts mit dem staatsrechtlichen Zustand eines Bürgers zu tun haben dürfe. Dieser Fall beschäftigte mehrere Gremien. Das Bürgerrecht wurde W. zunächst verweigert, bis 1864 der Austritt aus der Kultusgemeinde gesetzlich möglich wurde.
Lehrer und Schulleiter, geb. 28.8.1799 Harzgerode, gest. 2.3.1847 Seesen
Immanuel Wolf, der sich ab 1822 Wohlwill nannte, besuchte nach dem frühen Tod seiner Eltern die Freischule in Seesen. Nach Abschluss der Bürgerschule wechselte er 1815 auf das Gymnasium in Berlin-Kölln über, wo er 1818 das Abitur bestand. Er blieb in Berlin und studierte dort bis 1822 unter anderem bei Hegel. Seine Promotion zum Dr. phil. erreichte er an der Universität Kiel. Schon als Gymnasiast stieß W. 1816/17 zu einem Wissenschaftszirkel junger jüdischer Intellektueller, aus dem sich nach 1820 der Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden konstituierte, der das Judentum dem modernen Wissenschaftsverständnis öffnen sollte. In einem Vortrag vor dem Verein formulierte W. einen weiten Kulturbegriff für das Judentum, der die Wissenschaften wie die Lebensweise der Juden umfasste. Das Judentum begriff er sowohl als historische Größe wie auch als zeitgenössische Erscheinung, deren politische und kulturelle Substanz statistisch zu erfassen sei. 1823 ging W. als Lehrer an die → Israelitische Freischule [35] nach Hamburg. 1830 schloss er sich der Philalethen-Gruppe um den Kieler Anwalt Theodor Olshausen an, die für eine Religion über alle Religionsgrenzen hinweg eintrat. Trotz dieser interkonfessionellen Ambitionen blieb W. Mitglied des Neuen Israelitischen → Tempelvereins [36], für dessen Gesangbuch er eine Reihe von Liedern verfasste. Seine akkulturativen Bestrebungen fanden Anerkennung im Hamburger Bürgertum. Als erster Jude wurde er 1834 in die Patriotische Gesellschaft als Ehrenmitglied aufgenommen. W. entwarf eine den Grundsätzen der Aufklärung verpflichtete Pädagogik, die er erst an seiner Schule in Hamburg erprobte und dann an der Jacobson-Schule in Seesen, die er von 1838 bis zu seinem Tod leitete, in die Praxis umsetzte. Aus seiner im Oktober 1831 geschlossenen Ehe mit Friederike Warburg gingen sechs Kinder hervor, von denen → Anna und Adolph [22] im kulturellen bzw. wissenschaftlichen Leben Hamburgs eine bedeutende Rolle spielen sollten.
Den Beinamen »Stiftungshauptstadt« verdankt Hamburg auch der Vielzahl von → Stiftungen [37] für Freiwohnungen, die eine aus kirchlichen Anfängen erwachsene Tradition bürgerlich-gemeinnützigen Verantwortungsgefühls und republikanischen Selbstverständnisses bezeugten.
Als sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die negativen Begleitsymptome des Urbanisierungsprozesses auch in dramatischer Wohnungsnot zeigten, stifteten Kaufleute testamentarisch oder zu Lebzeiten in solcher Zahl Freiwohnungen, dass man von einem Gründungsboom sprechen kann. Bis 1914 waren 66 Stiftungen errichtet worden. Der Beitrag jüdischer Stifter dazu war sehr hoch. Jüdische Kaufleute finanzierten zwölf Stiftungen für jüdische Familien, die zunächst in der Alt- und → Neustadt [38], später im → Grindelviertel [39] angesiedelt wurden und sich zurückhaltend, teilweise mit mehreren Häusern, in die umgebende Wohnbebauung einfügten. Außer den obligatorischen Aufnahmevoraussetzungen mussten die Bewerber ihre Mitgliedschaft in einer jüdischen Gemeinde nachweisen und für die Aufnahme in drei Stiftungen außerdem nach orthodoxem Ritus leben. Juden stifteten 1849 auch die erste paritätische Stiftung, deren Wohnungen ohne konfessionelle Beschränkung vergeben wurden. 1914 reihten sich die 22 Häuser dieser insgesamt fünf Institutionen mit klar definierter Zweckbestimmung in die Stiftsviertel der Stadt (St. Georg, Rotherbaum, Borgfelde, Eppendorf) ein.
Unter der nationalsozialistischen Herrschaft wurde die eigentlich wohltätige Zweckbestimmung der Wohnstifte in ihr Gegenteil pervertiert und die zwölf jüdischen Stiftungen und drei der paritätischen Stiftsgebäude als sog. → »Judenhäuser« [40] missbraucht. Die heute mehrheitlich noch erhaltenen Gebäude stellen deswegen zugleich Zeugnisse für den erfolgreichen Emanzipationsprozess der Hamburger Juden wie Mahnmale für dessen gewaltsames Ende dar.
Sänger und Schauspieler.
Die Geschichte der Gebrüder W. begann im Jahre 1895, als der 28-jährige Rummelplatzsänger Ludwig Isaac (1867-1955) seine beiden jüngeren Brüder Leopold (1869-1926) und James (1870-1943) überzeugte, mit ihm als Trio aufzutreten. In der Tradition der humoristischen Herren-Sänger-Gesellschaften machten sich die drei Brüder Isaac als W.-Trio schnell einen Namen. Innerhalb kurzer Zeit wurden sie mit ihren ebenso witzigen wie provokanten Kostümauftritten weit über die Grenzen Hamburgs bekannt. Leichte Unterhaltungskunst, gemischt mit parodistischen Couplets, witzigen Plaudereien und kurzen szenischen Burlesken waren ihr Erfolgskonzept. Tourneen durch die skandinavischen Länder, durch Holland, Österreich, Ungarn und die Schweiz sorgten zudem für internationale Popularität. Ludwig, der kreative Kopf der drei Brüder, war zudem Mitgründer der internationalen Artistenloge, die sich um die sozialen Belange der darstellenden Künstler bemühte. Als der jüngste Bruder James das Trio nach elfjähriger Zusammenarbeit verließ, arbeiteten Ludwig und Leopold unter dem Namen Gebrüder W. weiter. 1911 entwickelten die beiden die Figuren Fietje und Tetje. Sie traten in der Arbeitskleidung Hamburger Schauermänner auf, präsentierten dazu plattdeutsche Lieder und jede Menge »uhlenspegeligen Schabernack«. Noch im gleichen Jahr feierten sie mit ihrem neuen Konzept sensationelle Erfolge. In ihrer Ausstattungsrevue Rund um die Alster begeisterten sie das Publikum mit Gassenhauern wie Snuten und Poten, Dat Paddelboot – Hannes, zuckersüßer Hannes sowie Mariechen, Du süßes Viehchen. Häufig gastierten sie auch in Berlin sowie in fast allen größeren Städten Deutschlands. Hamburgs berühmtestes Volkslied An die Eck steiht´n Jung mit´n Tüdelband ist auch auf Ludwig W. zurückzuführen. Die zweite Strophe des Liedes stammt aus einem Couplet der Gebrüder W. mit dem Titel Een echt Hamborger Jung, das Ludwig W. 1911 schrieb. 1924 gelang es Ludwig und Leopold, das Operettenhaus zu erwerben. Im selben Jahr veranlasste der stärker werdende → Antisemitismus [23] die beiden dazu, ihren Familiennamen Isaac gegen den Künstlernamen W. zu vertauschen. 1926 erlag Leopold einem Herzanfall, doch trat sein Sohn James Iwan (1893-1981) an seine Stelle. Seit 1933 begrenzten die Berufsverbote die Auftrittsmöglichkeiten des Duos auf den → Jüdischen Kulturbund [27] oder die jüdische Künstlergruppe. Im November 1938 (→ Novemberpogrom [10]) wurde der mittlerweile 45-jährige James Iwan W. in das KZ Sachsenhausen gebracht, das er nach einem Monat verließ. Entschlossen zur Flucht aus Deutschland (→ Emigration [9]), gelangte er 1939 gemeinsam mit einem jüngeren Bruder Donat (1902-1984) nach Shanghai. 1947 emigrierten sie nach New York, wo sie noch einige Zeit gemeinsam auftraten, bis Donat einen Neuanfang in San Francisco versuchte und James nach San Diego zog. Ludwig überlebte die Verfolgungen, weil er in zweiter Ehe mit einer nichtjüdischen Deutschen verheiratet war. Der Jüngste des ehemaligen W. Trios, James, wurde 1942 mit seiner Frau nach Theresienstadt deportiert (→ Deportation [11]), wo beide 1943/4 umkamen.
Zeichner und Kupferstecher, geb. 1775 Alt-Strelitz, gest. 10.4.1840 Hamburg
W. kam im Jahr 1800 nach Altona, wo er zunächst Kupferstiche nach Porträtzeichnungen von ihm selbst und anderen Künstlern anfertigte. 1806 übersiedelte er nach Hamburg und lieferte ab jetzt für die Gemeinnützigen Unterhaltungsblätter vierteljährlich als Kunstbeilagen insgesamt 32 Kupferstiche, die fast alle Hamburger Ansichten zeigen und damit ein Bild Hamburgs während der so genannten Franzosenzeit überliefern. Die Tragik seines Lebens bestand in einer Nervenerkrankung, die zeitweilig seine künstlerische Tätigkeit vollständig unterbrach und seine spät gegründete Familie in schwere Notlagen brachte. Die → Deutsch-israelische Gemeinde [26] würdigte sein Andenken durch die Errichtung eines Ehrengrabes auf dem → Friedhof [2] Ilandkoppel.
Journalist, geb. 30.10.1888 Berlin, gest. 17.3.1942 Ravensbrück
Die revolutionäre Bewegung in Hamburg am Ende des Ersten Weltkrieges hatte mit W. einen mitreißenden Führer. W. besuchte in Berlin ein Gymnasium, leistete den einjährig-freiwilligen Militärdienst und schloss eine Kaufmannslehre ab. Dann aber wechselte er in den Journalistenberuf und wurde Sozialdemokrat. 1910 reiste er in die USA und arbeitete dort für sozialistische Zeitungen. 1913 zurückgekehrt, bewarb er sich in Hamburg mit Schilderungen der amerikanischen Arbeiterbewegung um Mitarbeit in der sozialdemokratischen Presse. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges ging W. in entschiedene Opposition zur Mehrheit seiner Partei und veröffentlichte zusammen mit Heinrich Laufenberg und → Carl Herz [42] kritische Schriften. Antisemitische Denunziationen und verdeckte Informationen veranlassten seinen Einzug zum Kriegsdienst und schließlich eine kriegsgerichtliche Verurteilung wegen Majestätsbeleidigung zu neun Monaten Festungshaft. W. gewann starken Einfluss auf die aus der SPD ausgeschlossenen Linksradikalen in Hamburg und war deren Vertreter auf der Reichskonferenz der Spartakusgruppe im Oktober 1918 in Berlin. Als Hauptredner der revolutionären Massenkundgebung auf dem Heiligengeistfeld am 6. November 1918 rief er zum Sturm auf das militärische Kaiserliche Generalkommando in Altona auf. Nach einer halbjährigen Pause wegen eines Nervenleidens machte sich W. innerhalb der kommunistischen Bewegung zum Wortführer eines Volkskrieges gegen die Westmächte und löste damit einen leidenschaftlichen innerparteilichen Streit aus. Er verlor seinen Einfluss und wurde zum Sektierer in sozialrevolutionären, nationalistischen Zirkeln. 1939 wurde W. verhaftet, in den → KZ [43] Fuhlsbüttel und Sachsenhausen gefangen gehalten und schließlich in Ravensbrück ermordet.
Rechtsanwalt und Politiker, geb. 21.1.1817 Hamburg, gest. 12.10.1895 Hamburg
Der Vater Meyer Wolffson, Schullehrer und Kaufmann, stammte aus einer Hamburger reformorientierten Familie. Die Mutter Zündel oder auch Zirla Levi, Witwe des Hamburger Kaufmanns Simon Marcus Warburg, kam aus Franken. W. besuchte zunächst die → Israelitische Freischule [35] und wechselte später auf das Johanneum. Der nach dem Studium der Rechtswissenschaft und Promotion 1839 in Hamburg gestellte Antrag auf Zulassung zur Advokatur wurde abgelehnt, da W. als Jude kein Bürgerrecht erwerben konnte und dies Voraussetzung für die Advokatur war. Er fand einen Ausweg, indem er die erlaubte gewerbsmäßige Beratung und Vertretung vor dem Handelsgericht übernahm. W. war einer der führenden politischen Köpfe der 1845 gegründeten Gesellschaft für sociale und politische Interessen der Juden. Bei dem ersten Deutschen Anwaltstag 1846 in Hamburg wurde er zum Schriftführer bestellt. Im selben Jahr gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des Vereins hamburgischer Juristen. Anfang 1848 übernahm W. die Mitarbeit in der Redaktion der Neuen Hamburger Blätter, einer Zeitschrift der hamburgischen Liberalen. Im Revolutionsjahr 1848 wurde der jetzt 29-jährige Mitglied der konstituierenden Versammlung Hamburgs. Nachdem er aufgrund der Religionsfreiheit der Paulskirchenverfassung 1848 zur Advokatur zugelassen worden war, zog sich W. nach dem Scheitern der Revolution zunächst aus dem politischen öffentlichen Leben zurück, engagierte sich jedoch verstärkt in der Gemeinde (→ DIG [26]). 1853 wurde er Mitglied ihres Vorstandes und blieb dies bis 1868. W. wurde 1859 erneut in die konstituierende Versammlung Hamburgs gewählt. Mit der Verfassung von 1860, die nunmehr volle Religionsfreiheit und Gleichberechtigung der Konfessionen vorsah, erfüllten sich W.s politische Forderungen. 1861 und 1862 wählte ihn die Bürgerschaft zum Präsidenten und damit zum ersten jüdischen Präsidenten eines deutschen Landesparlaments. Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft blieb er bis 1883. Diese in Hamburg erworbene Integrität legte den Grund dafür, dass W. für die Nationalliberale Partei in vier Wahlen ein Mandat für den Reichstag erhielt. Dort war er 1875 und 1876 Mitglied der Kommission zur Ausarbeitung der einheitlichen Justizgesetze des Reiches. 1890 wurde W. dann ständiges Mitglied der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Bereits 1879 war er Präsident der gemeinsamen Hanseatischen Rechtsanwaltskammer der freien Hansestädte Hamburg, Lübeck und Bremen geworden.
Pädagoge und Vereinsfunktionär, geb. 14.11.1840 Altdorf (Baden), gest. 11.5.1900 Hamburg
Der Name W. verbindet sich mit der selbstlosen Hilfe für ostjüdische Flüchtlinge auf der Durchreise nach Amerika. Seit 1864 war W. Lehrer an der → Talmud Tora Schule [44] in Hamburg. Nach seminaristischer Ausbildung, die er später durch das Mittelschullehrerexamen ergänzte, besaß er die Lehrbefähigung für Deutsch, Französisch und Hebräisch. Die Schule befand sich im Aufbau zur Höheren Bürgerschule, an dem er mit großem Wissen und pädagogischer Begabung mitwirkte. In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts fand er neben seiner Lehrtätigkeit eine Aufgabe, die seine Kräfte aufs äußerste beanspruchte: Juden aus Russland und anderen osteuropäischen Ländern mussten vor einer restriktiven Gesetzgebung und Pogromen fliehen. Eine Massenauswanderung (→ Auswanderung [45]) nach Amerika setzte ein. Der Hamburger Hafen war die Zwischenstation vor der Einschiffung nach den USA. Das Elend der verarmten Flüchtlinge, die oft wochenlang in Hamburg warten mussten, war groß. 1884 nahm der von W. gegründete Israelitische Unterstützungsverein für Obdachlose seine Arbeit auf und versorgte die Notleidenden bis zur Abreise mit einem Nachtquartier und Mahlzeiten, wenn nötig auch mit Kleidung und Reisegeld. Dabei war es in W.s Sinne, dass zuweilen auch Nichtjuden unterstützt wurden. Als die Geldmittel des Vereins knapp wurden, wandte sich W. an Baron Moritz von Hirsch in Paris und bewog ihn zu einer großzügigen Spende. Es galt auch die christliche → Judenmission [46] abzuwehren, die hier ein weites Tätigkeitsfeld entdeckt hatte. W. sorgte dafür, dass in den Auswandererhallen am Amerika-Kai eine streng rituell geführte Küche eingerichtet wurde. 1896 folgte die Einweihung einer gut ausgestatteten Synagoge
Verweise:
[1] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/privilegien-altona
[2] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/friedh%C3%B6fe
[3] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/dreigemeinde-ahw-ahu
[4] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/synagogen
[5] https://www.dasjuedischehamburg.de/../../inhalt/bernays-isaak
[6] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/bamberger-simon-simcha
[7] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/harburg-wilhelmsburg-synagogengemeinde
[8] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/j%C3%BCdischer-religionsverband-hamburg
[9] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/emigration
[10] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/novemberpogrom
[11] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/deportationen
[12] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/gedenkst%C3%A4tten-und-gedenkkultur
[13] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/saxl-fritz
[14] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/kulturwissenschaftliche-bibliothek-warburg
[15] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/warburg-max-m
[16] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/arisierung
[17] https://www.dasjuedischehamburg.de/bilder/warburg-familie
[18] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/warburg-abrahamaby-moritz
[19] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/warburg-eric-m
[20] https://www.dasjuedischehamburg.de/node/445
[21] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/ballin-albert
[22] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/warburg-familie
[23] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/antisemitismus
[24] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/tuch-gustav
[25] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/israelitisch-humanit%C3%A4rer-frauenverein
[26] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/deutsch-israelitische-gemeinde-dig
[27] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/j%C3%BCdischer-kulturbund-hamburg
[28] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/stern-louis-william
[29] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/jugendbewegung
[30] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/portugiesisch-j%C3%BCdische-gemeinden-sefarden
[31] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/heine-salomon
[32] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/wohlwill-auch-wolf-immanuel
[33] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/r%C3%A9e-anton
[34] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/emanzipation
[35] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/israelitische-freischule
[36] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/tempel-neuer-israelitischer-nit
[37] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/stiftungen
[38] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/neustadt
[39] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/grindelviertel
[40] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/%C2%BBjudenh%C3%A4user%C2%AB
[41] https://www.dasjuedischehamburg.de/bilder/wolf-gebrueder
[42] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/herz-carl
[43] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/konzentrationslager-hamburg
[44] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/talmud-tora-schule-ttr
[45] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/auswanderung
[46] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/judenmission