Personen und Themen mit C
Rabbiner und Pädagoge, geb. 30.1.1883 Lübeck, gest. 26.3.1942 bei Riga
C. war das achte von zwölf Kindern des Rabbiner-Ehepaars Salomon und Esther Carlebach (geb. Adler). Das Vorbild seines Vaters, dessen genaue jüdische Religionspraxis und tiefes religiöses Empfinden, verbunden mit solider jüdischer und umfassender Allgemeinbildung und das fest verankerte Familienleben waren ebenso mitentscheidend für die Charakterbildung C.s wie die verschiedenen Stationen seines eigenen Lebens und Wirkens. Sein sprühender Geist, seine Empfänglichkeit für die Schönheit der Natur und der Kunst, seine Sprachbegabung, durchsetzt mit sprudelndem Humor, ließen ihn zu einer außergewöhnlichen Persönlichkeit heranreifen.
C.s universitäre Studien in Berlin, Leipzig und Heidelberg umfassten in erster Linie Naturwissenschaften und gleichzeitig Kunst und Philosophie. 1910 erschien seine Doktorarbeit über den mittelalterlichen Mathematiker und Religionsphilosophen Gersonides. Die Rabbinats-Autorisation am Berliner Orthodoxen Rabbiner-Seminar erhielt er im Jahre 1914. In den Jahren 1905 bis 1907 unterrichtete er – zum Teil auf Neuhebräisch – als Pionier-Lehrer am jüdischen Lehrerseminar der Lämel-Schule in Jerusalem. Während der Kriegsjahre als Freiwilliger 1915 bis 1919 wurde C. in den Rang eines Offiziers erhoben. Von der deutschen Armee mit Erziehungsaufgaben betraut, diente er als Vermittler deutscher Kultur und Literatur unter der osteuropäischen jüdischen Jugend, für die er in Kowno das »Carlebach-Gymnasium i. E.« errichtete.
Lediglich seine einjährige Tätigkeit als Rabbiner in Lübeck 1920/21 unterbrach die achtzehn Jahre dauernde Lehrtätigkeit, die er mit der reformpädagogisch orientierten Leitung der Hamburger → Talmud Tora Realschule [2] (1921-1926) und der innovativen Gründung einer kaufmännischen Jeschiwa (jüdische Fachhochschule) abschloss. Seine sich anschließende Rabbinerlaufbahn führte ihn zunächst für zehn Jahre nach Altona und Schleswig-Holstein, 1936 dann nach Hamburg. In diesen Jahren entstanden wichtige literarische Werke – biblische, pädagogische, mathematische, geschichtliche und philosophische Themen umfassend – und zum Teil auch polemisch mutige Auseinandersetzungen mit aktuellen Zeitfragen. Immer wieder überraschte er seinen Leserkreis mit analysierenden Buchkritiken, in denen er seine umfassende Bildung dokumentierte. Gleichzeitig fand sich ein ungewöhnlich zahlreiches Publikum zu seinen Vorträgen über biblische Themen ein; die Hörer rekrutierten sich aus allen jüdischen und bis Ende 1935 auch aus nichtjüdischen Kreisen.
Während der letzten fünf Jahre, unter dem sich stets steigernden antijüdischen Druck der NS-Herrschaft, wirkte C. weit über Hamburg hinaus, bis er im Dezember 1941 gemeinsam mit seiner Familie und Teilen seiner Gemeinde deportiert wurde.
Im KZ Jungfernhof bei Riga hatte er seinen letzten Wirkungskreis: Nach allen erhaltenen Zeugenaussagen blieb er bis zu seiner Ermordung der mitfühlende Seelsorger für Jung und Alt, der ermutigende, tröstende Redner und selbst in den schwersten Situationen ein unvergesslicher Lehrer.
C. war eine komplexe, vielseitige Persönlichkeit, ein kämpferischer, überzeugter stolzer Jude auf allen seinen Wegen, nachsichtig und tolerant in seiner Bruderliebe, immer lehrend, immer kinder- und jugendbegeistert. Sein Weg wurde treu begleitet von seiner Frau Lotte, geb. Preuss, und seinen vier jüngsten Kindern, von denen nur der Sohn Salomon die Schoah überlebte.
Philosoph und Universitätslehrer, geb. 28.7.1874 Breslau, gest. 13.4.1945 New York
Der Philosoph C. gehörte bei der Gründung der Hamburgischen Universität im Jahre 1919 zur ersten Generation neu berufener Wissenschaftler, und er hat bis zu seinem geistesgegenwärtigen Abschied im März 1933 den wirkungsmächtigsten Teil seines Lebenswerkes in Hamburg erarbeitet. C., eines von sieben Kindern des Kaufmanns Eduard C. und seiner Frau Jenny (geb. Siegfried Cassirer), studierte nach dem Abitur im Frühjahr 1892 zunächst Jura in Berlin, dann Philosophie und Germanistik in Leipzig, Heidelberg und Berlin und ging schließlich auf Anraten von Georg Simmel nach Marburg. Dort wurde er von den beiden Neukantianern Hermann Cohen und Paul Natorp zu einer guten Kennerschaft der neuzeitlichen Erkenntnistheorie und des Kantischen Werkes herangebildet. Nach der Promotion 1899 mit einer Arbeit über Descartes kehrte er nach Berlin zurück. 1902 heiratete er seine Cousine Toni Bondy. Ernst und Toni C.. hatten drei Kinder: Heinz, Georg und Anne. 1906 habilitierte sich C. in Berlin mit dem ersten Teil seines großen Werkes über Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, dem schon 1907 der zweite, ebenso große Teil folgte. Nach 13 produktiven Berliner Jahren wurde der noch junge Privatdozent gleich nach ihrer offiziellen Gründung an die Hamburgische Universität berufen und leitete als ordentlicher Professor das Seminar für Philosophie. C. war nicht nur einer der größten Gelehrten, die Hamburg in seiner gesamten kurzen Universitätsgeschichte für sich zu gewinnen wusste, er gehörte auch zu den letzten Universalgelehrten des 20. Jahrhunderts. Aufgrund seiner gediegenen Kenntnisse in den Geisteswissenschaften wie in den Naturwissenschaften hat er auch ein Beispiel interdisziplinären Arbeitens gegeben. Für seine Hamburger Zeit ist dies durch eine Reihe fruchtbarer Kontakte zu den anderen Wissenschaften belegt: Die → Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg [3] (KBW) hatte C. bereits 1921 für seine Fragestellungen zu nutzen gelernt; eine Reihe von wichtigen Abhandlungen im Kontext seiner eigenen Philosophie ist aus Vorträgen in der KBW hervorgegangen. Die produktive Freundschaft mit → Aby Warburg [4] begann 1924. Für seine Philosophie der Sprache erwies sich sein Austausch mit → William und Clara Stern [5], für die grundlegende Dimension seiner Kulturphilosophie die gute Verbindung zum Institut für Umweltforschung und dessen Leiter Jakob von Uexküll als fruchtbar. C. entwickelte in diesem Kontext seine Philosophie der symbolischen Formen. Als C. 1928 einen Ruf an die Universität Frankfurt erhielt, schrieb Aby Warburg den legendären Artikel im Hamburger Fremdenblatt Warum Hamburg den Philosophen C. nicht verlieren darf. C. blieb und nahm die Einladung an, am 11. August 1928 bei der Verfassungsfeier des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg die Festrede zu halten. In seiner Rede über Die Idee der republikanischen Verfassung verteidigte er den klassischen politischen Liberalismus gegen völkische und antidemokratische Ressentiments. C. wurde im Juli 1929 zum Rektor der Universität gewählt. Von 1923 bis zu seiner → Emigration [6] im März 1933 amtierte C. zudem als zweiter Vorsitzender der 1919 gegründeten Religionswissenschaftlichen Gesellschaft in Hamburg, deren Ziele – zum Ausgleich für das Fehlen einer Theologischen Fakultät an der Hamburgischen Universität – die »Pflege religionswissenschaftlicher Studien« und die »Verbreitung religionswissenschaftlicher Kenntnisse« waren. Nach dem Januar 1933 gab es für Ernst und Toni C., die den → Antisemitismus [7] im universitären und städtischen Alltag der zwanziger Jahre erfahren hatten, kein Zögern in der Frage, was zu tun sei. Sie verließen Hamburg im März 1933 und waren so schon etwa einen Monat außer Landes, als am 7. April das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« in Kraft trat. Bereits zwei Tage zuvor hatte C. den Rektor um die Aufhebung aller Verpflichtungen ersucht. Im Juli 1933 wurde C. mit Wirkung zum 1. November in den Ruhestand versetzt. Seine Kollegen an der Universität haben ihn ohne Aufbegehren und Protest gehen lassen. Die Stationen seiner Emigration führten ihn über die Schweiz und England nach Schweden, wo ihm in Göteborg eine Professur angeboten wurde. 1939 wurde ihm die schwedische Staatsbürgerschaft verliehen; auf die deutsche verzichtete er. Nach seiner Emeritierung nahm er Gastprofessuren in den USA wahr – zuletzt in New York, wo er 1945 einem Herzleiden erlag.
Die ursprünglich aus Livorno stammende Familie C. gehörte im 19. und 20. Jahrhundert zu den einflussreichsten und aktivsten Hamburger Portugiesenfamilien. Der in einem Amsterdamer Waisenhaus aufgewachsene Jehuda de Mordechai C. (geb. 4.9.1808, gest. 11.3.1893) kam aus Amsterdam nach Hamburg, um 1827 als erst 19-Jähriger die Stelle eines Kantors und Lehrers an der kleinen → Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde [8] anzutreten.
Hier amtierte Jehuda C. bis zu seinem Tode, zeitweise auch als Rabbiner (Chacham) und als Administrator des Wohltätigkeitsvereins »Guemilut Hassadim«. 1854 veröffentlichte er unter dem Pseudonym Leon Quiros ein Lesebuch in spanischer Sprache (Colmena Española). Seinen Lebensunterhalt erwarb er sich aber vor allem als Sprachlehrer und Übersetzer. Das Übersetzungsbüro wurde später von seinem Sohn Isaac Haim C. und seinem Enkel Jehuda Leon C. bis 1933 erfolgreich fortgeführt. Isaac Haim C. (geb. 4.4.1848 Hamburg, gest. 30.1.1923 ebd.) wurde wiederholt in den Vorstand der Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde gewählt. Zwischen 1906 und 1920 übersetzte und veröffentlichte er wichtige Teile aus dem Protokollbuch der Portugiesen, musste aber auf Druck der Gemeinde kompromittierende Teile unübersetzt lassen. 1917 gab er eine hebräisch-deutsche Sammlung von Friedhofsandachten nach sephardischem Ritus heraus. Die von seinem Vater erworbene und von ihm fortgeführte bedeutende Büchersammlung sefardischer Drucke wurde 1974 von seinem Enkel Alfonso C. (geb. 26.11.1910 Hamburg, gest. 8.1.1990 Lissabon) an die Bibliotheca Rosenthaliana verkauft. Der Gerichtsdolmetscher Jehuda Leon C. (geb. 5.10.1878 Hamburg, gest. 19.9.1953 Venda Nova/Portugal) erwarb 1911 den Hamburger Bürgerbrief. Nach dem »Judenboykott« am 1. April 1933 verließ er mit seiner Familie Hamburg und emigrierte zunächst nach Amsterdam, später nach Porto. In Porto arbeitete Jehuda Leon C. an seinen mehrbändigen (unveröffentlichten) Erinnerungen, die einen Einblick in das jüdische Leben Hamburgs im Kaiserreich und in der Weimarer Republik vermitteln. Sein Sohn Alfonso C. (1910-1990) studierte in Hamburg Romanistik und bereitete Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts eine (unvollendete) Dissertation über den Portugiesenfriedhof an der Königstraße (100) vor. Er emigrierte 1933 mit seinen Eltern nach Portugal und arbeitete zunächst als Hebräischlehrer an der Jüdischen Gemeinde von Porto, später als Fabrikant und Buchhändler in Lissabon.
Die ursprünglich aus Spanien stammende Familie de C. (jüdischer Name: Na[h]mias) gehörte zu den ersten iberischen Neuchristen, die sich Ende des 16. Jahrhunderts in Hamburg niederließen. Wie viele ihrer Vorfahren, die als Leibärzte portugiesischer Könige und kirchlicher Würdenträger hohes Ansehen genossen hatten, übten auch die Hamburger de C. den Beruf des Mediziners aus.
Das erste Hamburger Mitglied dieser berühmten Arztfamilie war Rodrigo de C. (David Na[h]mias) (geb. um 1550 Lissabon, gest. 1.2.1627 Hamburg), der vermutlich in Antwerpen zum Judentum zurückkehrte. Gegen 1592 kam er nach Hamburg und eröffnete in der Nähe der Petrikirche seine Praxis, die rasch Anerkennung auch über die Hamburger Landesgrenzen hinaus fand. Er wurde Leibarzt des Königs von Dänemark, des Erzbischofs von Bremen, der Herzöge von Holstein und Mecklenburg, des Landgrafen von Hessen sowie angesehener Hamburger Bürger. Bei der Gründung der Hamburger Bank – nach Venedig und Amsterdam die älteste europäische Girobank – gehörte er zu den ersten Einlegern. Seinen hohen sozialen Status und seinen Anspruch auf Anerkennung belegt der Bericht eines Hamburger Chronisten aus dem Jahr 1611, der schreibt, dass dieser portugiesische Arzt »wie die andern Christendoctoren« selbstbewusst mit Rock, Wollkragen sowie hohem Samthut auftrat. Sein wohl berühmtester Sohn war Benedictus/Benedito de C. (Baruch Na[h]mias) (geb. um 1597 Hamburg, gest. 31.1.1684 ebd.). Nach dem Besuch des Akademischen Gymnasiums in Hamburg begann er ein Medizinstudium an der Universität Franeker, das er 1624 mit der Promotion abschloss. Wenig später ließ er sich als praktischer Arzt in Hamburg nieder, wo er bald in hohem Ansehen stand. Trotz oder gerade wegen seiner großen Erfolge wurde de C. immer wieder von seinen christlichen Kollegen und der lutherischen Geistlichkeit in Hamburg verleumdet. Auf diese Angriffe antwortete er 1631 mit der apologetischen Schrift Flagellum calumniantium, die er unter dem Pseudonym Philotheo Castello veröffentlichte. 1652 unterzeichnete de C. die Gründungsvereinbarung der → Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde [8] Bet Israel. Zwei Jahre später wurde er in den Vorstand gewählt und bekleidete später weitere Ehrenämter. 1666 gehörte er zu den aktivsten Anhängern des selbsternannten Messias Sabbatai Zwi. In seinen letzten Lebensjahren geriet er in wirtschaftliche Schwierigkeiten, so dass er sich genötigt sah, seine bedeutende Bibliothek zu verkaufen.
Rabbiner und Philologe, geb. um 1602 Hamburg, Amsterdam oder Lissabon, gest. 20.10.1674 Hamburg
Der noch immer in seiner wissenschaftlichen Bedeutung verkannte C. zählte zu den bedeutendsten sefardischen Philologen des 17. Jahrhunderts. Nach einem Studium am Amsterdamer Rabbinerseminar lebte C. längere Zeit in Amsterdam und Leiden, bevor er 1627 Rabbiner in Hamburg wurde. In der Hansestadt erlangte er als Sprachforscher und Übersetzer rasch überregionale Berühmtheit. Seine Arbeiten wurden auch von christlichen Hebraisten gelesen, und Hamburger Lutheraner schätzen ihn trotz ihrer erklärt antijüdischen Haltung als Autor und Gesprächspartner. Seit etwa 1639 amtierte C. als Rabbiner der Hamburger Kongregation Neve Salom, um nach deren Zusammenschluss mit den übrigen zwei portugiesisch-jüdischen Gemeinden im Jahre 1652 zum religiösen Oberhaupt der Einheitsgemeinde Bet Israel gewählt zu werden. 1668 erschien in Hamburg sein (unvollendetes) talmudisches Wörterbuch Keter Kehunna, dessen Druck durch die Subskription überwiegend christlicher Hebraisten oder Theologen ermöglicht wurde und das zu den größten Leistungen der rabbinischen Lexikographie des 17. Jahrhunderts zählt. Nach der überraschenden Berufung des venezianischen Gelehrten Isaac Jessurun zum Oberrabbiner verließ C. 1656 enttäuscht Hamburg, kehrte jedoch nach Jessuruns Tod 1665 in die Hansestadt zurück. Seine Hoffnung, die nun vakante Stellung zu erhalten, erfüllte sich nicht, da Mose Israel ihm als Oberrabbiner vorgezogen wurde. 1666 kam es auf dem Höhepunkt der sabbatianischen Bewegung zum Bruch mit der Hamburger Gemeinde, deren Begeisterung für den selbsternannten Messias Sabbatai Zwi C. vehement kritisierte. Aus Holland, wo er die nächsten Jahre verbrachte, kehrte er erst kurz vor seinem Tode in die Elbmetropole zurück.
Kaufmann und Zionist, geb. 17.2.1830 Hamburg, gest. 10.12.1906 Hamburg
C. ging mit 18 Jahren als Kaufmann nach Südafrika und wurde englischer Staatsbürger. 1869 übersiedelte er nach Manchester, 1879 kehrte er als Privatier nach Hamburg zurück. Die Lektüre von George Eliots Roman Daniel Deronda (1876 erschienen), der für einen jüdischen Staat in Palästina eintritt, inspirierte C. zu eigenen Überlegungen zur politischen Situation des europäischen Judentums. 1881 begann C. mit seinen Aufzeichnungen über Die Judenfrage und die Zukunft, deren erster Teil im Laufe der achtziger Jahre verfasst wurde. 1891 arbeitete C. im Hamburger Comité zur Hilfe der aus Russland geflüchteten Juden mit. Über diese Erfahrungen berichtete er dann im zweiten Teil der Judenfrage, die 1891 erstmals als Privatdruck erschien. C. schrieb 1897 nach seiner Bekanntschaft mit Theodor Herzl ein Nachwort für seine Broschüre und veröffentlichte sie ein zweites Mal als Privatdruck. Seine Vision eines politisch selbstbestimmten jüdischen Volkes, seine ungeschminkte Darstellung des Pogromelends der osteuropäischen Juden sowie seine drastische Schilderung der Assimilationsbestrebungen seiner jüdischen Zeitgenossen legen ein eindrucksvolles Zeugnis von der geistigen Vitalität des Frühzionismus ab. 1899 gehörte C. zu den Mitbegründern der Zionistischen Ortsgruppe in Hamburg-Altona (→ Zionismus [9]), deren Ehrenpräsident er später wurde. Die zweite von C. als Privatdruck veröffentlichte Schrift Drei Stadien, 1885 geschrieben und 1906 gedruckt, ist eine Erzählung in Briefform, die die allmähliche Abwendung einer Familie von ihrem Judentum und die Assimilation an die deutsche und christliche Welt schildert. Sie bildet eine Illustration der Kritikpunkte am deutschen Judentum, die Cohen in der Judenfrage bereits vorgebracht hatte.
(auch: Carl) Kaufmann und Politiker, geb. 19.11.1857 Neustrelitz, gest. 7.5.1931 Hamburg
C., Sohn eines Rechtsanwaltes im mecklenburgischen Neustrelitz, gehörte neben → Louis Gruenwaldt [10] zu den ersten Juden, die in den Senat der Hansestadt gewählt wurden. 1877 war C. als Kaufmannslehrling in die Handelsfirma Lippert in Hamburg eingetreten. Im Rahmen seiner Ausbildung hatte er Reisen nach England, Schottland und Südafrika unternommen, bis er 1883 nach Hamburg zurückkehrte und hier eine eigene Firma »Arnold & Cohn« gründete, die zu einem der wichtigsten internationalen Handelsunternehmen Hamburgs aufstieg. Außer in der Firmenleitung war er zunächst auch als Handelsrichter tätig, später saß er auch im Aufsichtsrat der Hamburger Wasserwerke und der Hamburgischen Elektrizitätswerke. Ehrenamtlich engagierte sich C. u. a. im Armenkollegium der Stadt. Von 1913 bis 1927 war er Mitglied der Bürgerschaft, zunächst für die Vereinigten Liberalen, nach 1918 dann für die Deutsche Demokratische Partei (DDP). Im März 1921 wurde C. in den von Sozialdemokraten und DDP gestellten Senat gewählt. Als Präses der Finanzbehörde verwaltete er zusammen mit Staatsrat → Leo Lippmann [11] den Staatshaushalt. C. genoss bei allen Fraktionen der Bürgerschaft und in der Kaufmannschaft hohes Ansehen, auch weil er seine unternehmerischen Talente mit sozialem Engagement verband. 1929 wurde C. von seiner eigenen Fraktion zum Rückzug gezwungen, zum Teil auch deshalb, weil seine Finanzpolitik innerhalb des Senats in die Kritik geraten war. C. unterstützte in der Weimarer Republik den Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens und übernahm auch ehrenamtliche Aufgaben für die → Deutsch-Israelitische Gemeinde, so beispielsweise 1925 als Mitglied einer Kommission für die Wahl eines neuen Oberrabbiners.
Arzt und Funktionär, geb. 22.12.1889 Hamburg, gest. 23.11.1962 München
C. legte 1908 in Hamburg sein Abitur ab, studierte Medizin in Heidelberg und München und erhielt 1914 seine Approbation. Nach einer Assistenzzeit an der Frauenklinik in Stuttgart diente er als Sanitätsoffizier, arbeitete von 1920 bis 1927 als Landarzt in Weil und avancierte 1930 zum Leiter des pathologischen und neuropathologischen Instituts am Hufeland-Hospital in Berlin. Wegen seiner jüdischen Herkunft 1933 entlassen, kehrte der (getaufte) Mediziner nach Hamburg zurück. Von 1936 bis zur Aberkennung der Approbation 1938 arbeitete er als Prosektor am Jüdischen Krankenhaus. Ab Dezember 1940 leitete er als »Krankenbehandler« dort die Frauenstation, die Chirurgische Abteilung und übernahm schließlich die Leitung der Klinik. C.s zweite Ehe mit einer Nichtjüdin galt als »privilegierte« Mischehe, weil ihr eine 1940 geborene Tochter entstammte. Im Juni 1943 begleitete C. einen Transport nach Theresienstadt, wurde von der SS festgehalten und kam erst nach Intervention der Hamburger Gestapo wieder frei. Kurz darauf setzte diese ihn als »Vertrauensmann« der Rest-Reichsvereinigung ein. Als solcher unterstand C. der Gestapo direkt und zeichnete verantwortlich für alle Angelegenheiten, die die in → Mischehe [12] lebenden Hamburger Juden betrafen. Obwohl er als »Vertrauensmann« umstritten war und aus diesem Grund 1946 die Leitung des Krankenhauses niederlegen musste, ist es doch wesentlich sein Verdienst, dass die »Krankenstation« nach den schweren Luftangriffen im Sommer 1943 ihre Arbeit wieder aufnehmen und bis zum Kriegsende fortführen konnte. C. und → Max Heinemann [13] erreichten es im Februar 1945, als die Mischehepartner deportiert werden sollten, dass ärztliche Atteste zur Rückstellung vom vorgeblichen »auswärtigen Arbeitseinsatz« führten. Nach dem Krieg geriet C. in die Schlagzeilen der Hamburger Presse, als ihn seine Ehefrau, von der er sich trennen wollte, wegen Freiheitsberaubung durch Psychiatrieeinweisung verklagte. In einem aufsehenerregenden Prozess wurde er freigesprochen. C. praktizierte von 1947 bis 1956 als Allgemeinmediziner in Hamburg und verzog 1958 nach München.
Kaufmann und Häretiker, geb. 1583/1584 Porto, gest. April 1640 Amsterdam
C. wurde als Kind eines (alt)katholischen Vaters und einer judaisierenden Mutter geboren. Vom Katholizismus enttäuscht, wandte er sich der jüdischen Religion zu. 1614 ließ er sich zunächst in Amsterdam nieder, wo er sich offen zum Judentum bekannte. Zwischen 1615 und 1616 hielt er sich mehrfach in Venedig und Hamburg auf, um mehr über die jüdische Tradition zu erfahren. In Amsterdam, Hamburg und in der Neuen Welt betätigte sich die Familie erfolgreich im Zuckerhandel. Vielleicht bedingt durch die engen Geschäftskontakte zu seinem in Hamburg lebenden Bruder Miguel Esteves de Pina (alias Mordechai Israel da Costa) ließ sich C. vor 1616 mit seiner Mutter, seinem Bruder Jácome (alias Abraham), seiner Frau Francisca de Crasto und seiner Schwägerin Iuana Esteves de Pina für längere Zeit in Hamburg nieder. Hier verfasste er 1616 den polemischen Traktat Überlegungen zur Tradition (Propostas contra a tradição), in dem er die Unterschiede zwischen der schriftlichen und der mündlichen Lehre festhielt, denn statt der ursprünglichen Religion der Bibel fand er eine Religion voll unwichtiger Vorschriften und Regeln. Er kam zum Schluss, dass weder die jüdische noch die christliche Religion ewige Wahrheiten besäßen, sie seien lediglich Glaubensüberzeugungen, Meinungen und Vorschriften, die sich aus menschlichen Bedürfnissen und sich wandelnden Umständen entwickelt hätten und daher wesentlich Menschenwerk seien. Im August 1618 sprachen die Gemeinden von Venedig und Hamburg den Bann über ihn aus. 1622 verfasste C. in Hamburg den Traktat von der Sterblichkeit der Seele (Sobre a mortalidade da alma do homem) und wenig später 1624 seine Schrift Prüfung der pharisäischen Tradition (Examen das tradições farisaicas), in dem er wiederum seine Kritik an der mündlichen Lehre formulierte und überdies die Unsterblichkeit der Seele leugnete. Bereits im Mai 1623 war C. von der Amsterdamer Portugiesengemeinde erneut mit dem Bann belegt worden. Nach Jahren des Elends und der Isolation widerrief er schließlich öffentlich seine Thesen von der Sterblichkeit der Seele. Nach einem entwürdigenden Züchtigungsritual schrieb er 1640 seine Autobiographie Beispiel eines menschlichen Lebens (Exemplar humane vitae), bevor er entmutigt und gebrochen Selbstmord beging.
(auch: Duarte Nunes da Costa), Kaufmann, geb. 26.9.1587 Lissabon, gest. 3.4.1664 Hamburg
C., dessen Familie im 17. und 18. Jahrhundert zu den angesehensten Portugiesenfamilien in Nordwesteuropa gehörte, übersiedelte 1621 aus Portugal nach Amsterdam. Nach einem kurzen Aufenthalt in → Glückstadt [14] ließ er sich ab 1627 dauerhaft in Hamburg nieder. Hier vertrat er zunächst als Resident die spanische, später die portugiesische Krone. Von 1636 bis 1639 rüstete er die spanische Kriegs- und Silberflotte in Andalusien sowie die spanische Armee in den südlichen Niederlanden aus. Nach der Wiedererrichtung des portugiesischen Königreichs 1640 vertrat er für einige Jahre Portugal inoffiziell als chargé d’affaires in Deutschland. 1645 wurde er offiziell Portugals Agent und Munitionslieferant der Krone. Als es ihm in den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts gelang, die Freigabe Hamburger Waren in Portugal zu erreichen, wurde er vom Rat für die Dauer seines Lebens von allen städtischen Abgaben befreit. Nachdem er 1647 eine große Kostenerstattung aus Lissabon erhalten hatte, bezog C. ein imposantes neues Haus auf dem Krayenkamp. 1652 unterzeichnete C. die Gründungsvereinbarung der sefardischen Gemeinde Bet Israel. Der Amsterdamer Zweig der Familie C. bestand bis gegen 1790. Gabriel Nunes da Costa, der letzte jüdische Spross der Hamburger C.s, wurde 1797 Mitglied der aschkenasischen Gemeinde.
Verweise:
[1] https://www.dasjuedischehamburg.de/bilder/carlebach-joseph-hirsch
[2] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/talmud-tora-schule-ttr
[3] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/kulturwissenschaftliche-bibliothek-warburg
[4] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/warburg-abrahamaby-moritz
[5] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/stern-louis-william
[6] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/emigration
[7] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/antisemitismus
[8] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/portugiesisch-j%C3%BCdische-gemeinden-sefarden
[9] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/zionismus
[10] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/gruenwaldt-louis
[11] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/lippmann-leo
[12] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/mischehen-%C2%BBmischlinge%C2%AB
[13] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/heinemann-max-0
[14] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/gl%C3%BCckstadt